Oskar Volkmann – Offizier beim 3. Oberelsässischen Feldartillerie-Regiment Nr. 80 (Teil 3/3)

Hier folgt nun der dritte und letzte Teil des Kriegstagebuches von Oskar Volkmann.

Volkmann wurde Ende 1917 an die Dolmetscherschule in Berlin abkommandiert. Doch bereits im Januar 1918 sollte er wieder mangels Verwendungsmöglichkeiten zur Truppe auf den südlichen Kriegsschauplatz geschickt werden. Eine Rückkehr zu seiner alten Einheit war nicht möglich, da seine Stelle bereits besetzt war.

Zufällig traf er dann eine alten Kriegsbekannten, der Volkmann in der Landesaufnahme in Berlin vorstellte. Dort wurde er dann auch angenommen und blieb dort bis Kriegsende.

Besonders Interessant sind Volkmanns Berichte über die Revolution in Berlin. Er schreibt über den 9. November 1918 in Berlin:

Nachdem ich zu Haus gegessen (wobei mein Bursche mir erzählte, dass sie auf der Chausseestrasse einen Offizier erschossen hätten) zog ich den Civilanzug, den ich mir abends vorher von Bruder Erst hatte holen lassen, an, um mich auf der Strasse umzusehen. Alles ruhig, Kinder werden an die schöne Herbstluft gefahren; ein paar Soldaten kommen ohne Kokarden daher. Wie ich an den Tiergarten komme nahe dem Stern, fährt über die Hauptallee ein Lastauto, auf dem sie einen roten Lappen schwenken. Schreie ertönen, ein zweites Auto langsam hinter dem ersten und dann eine wilde Menge, Soldaten und Civilisten mit Gewehren dazwischen Frauen. Autos werden angehalten, ein paar junge Kerls mit Gewehr und gezogenen Seitengewehr springen über den Rasen auf eine Autodroschke zu, die angehalten wird, und, visitiert, weiter fährt. Ein Beamtenstellvertreter, am Arm seiner Frau, ohne Waffe und mit hässlichen Stellen, wo die Kokarden sassen, kommt eilig vorbei, die Angst im Gesicht. Schüsse hört man nicht. Auf den Nebenwegen gehen Spaziergänger; jeder wechselt Worte mit andern. „Kommt man dahin noch durch?“ fragen ein paar Soldaten, die noch mit Kokarden und Seitengewehr gehen.

 

Durchs Tiergartenviertel gehe ich zu den Geschwistern. Gerade als ich vorm Haus bin, kommt von der andern Seite aus der Potsdamer Str. wieder ein Zug[.] Zwei Lastkraftwagen voll Kerls – nachher hörte ich dass Masch. Gewehre darauf seien, und eine riesige Schar von Mitläufern. Der alte Portier liess mich ein, draussen wurde grade mal wieder „Es lebe Liebknecht“ gerufen. Schon kurz darauf kamen mit Tschakos und vollem Gepäck Jäger oder Marineinfanterie – sie hatten wohl das Reichsmarineamt besetzt – und waren ebenso butterweich herübergerutscht wie das Militär an allen andern stellen. Oder welchem Befehl mochten sie folgen?

Zeitungen wurden wie immer verkauft – in der Vossischen Abendzeitung steht ausführlich, dass der Kaiser abgedankt und dass der Waffenstillstand geschlossen. So stürzt des deutschen Reichs Herrlichkeit, zugleich mit allerbürgerlichen Ordnung zusammen. Kaum macht der Verstand es sich klar, dass dies vielleicht mein letzter Tag als Offizier, im feldgrau, war; dass während ich noch Mittags geschrieben hatte, alles hier ist ruhig – mit Sonnenuntergang eine neue Ordnung da war.

Am 11. November 1918 resümiert er über die Revolution:

Merkwürdig wie sich doch alle Revolutionen gleichen. Wie beim Wasserfall vorher das Stagnieren, dann einsetzende Bewegung, die, erst unmerklich, überraschend schnell zum Absturz bringt. Für Ludendorffs Abgang, die Demokratisierung des Kabinets, die bei den ersten consitutierenden Versammlungen nur mühsam hergestellte Einigung zwischen radikalen u. noch Radikaleren, für alles sind die Vorbilder da, und die Zukunft? Der Zeitungsleser von gestern damit erfreut, dass der Bolschewismus auch die, die bei den ersten constituierenden Versammlungen nur mühsam hergestellten Einigung zwischen Radikalen u. noch Radikaleren, andern Nationen, Hollender, Italiener erfasse – aber die Presse, dem Bolschewismus hörig geworden, lügt seit Einführung „völliger Censurfreiheit“ noch viel faustdicker wie vordem.

In den Tagen nach der Revolution beendet Oskar Volkmann am 18. November 1918 sein Kriegstagebuch. Er schreibt zum Schluss:

Der Krieg ist zu Ende und damit dies Buch, das meine Kriegseindrücke aufnahm mit der Zusammenhanglosigkeit, die, währendem Erleben, die einzige Möglichkeit einer Darstellung ist.

Hoppenstedt, 18. November 1918.

Kriegstagebuch von Oskar Volkmann von Dezember 1917 bis 18. November 1918 (Teil 3/3)

Berlin, Hotel Atlas.

 

Seit fast zwei Monaten nun habe ich mein Kriegstagebuch nicht mehr in die Hand genommen, denn seither war der Krieg für mich – wenn auch nicht vorbei, so doch suspendiert. Doch haben diese zwei Wintermonate in Deutschland mir mehr Eindrücke, mehr Erlebtes und Unternommenes gebracht wie die Mehrzahl von den 40 „von denen ich wie die Maria Egyptiaca (Faust II, Schluss) sagen kann, dass ich, treu in Wüsten blieb.“

Also der Wachtmeister trat eines Morgens herein wie jeden Morgen, in mein Zimmer. Aber um seinen ruhigen Mund zuckte es auffallend, als er nun einen Zettel vorlegte: „Oberlt. Volkmann kommandiert zur Dolmetscherschule nach Berlin S.O.“

Da stands also, also doch noch! Roess, „Satteln“ Noch ein letztes Mal wollte ich über die herbstlichen Ödfelder galoppieren. Um 5 Uhr liess ich die Mannschaft antreten und verabschiedete

mich von jedem persönlich; abends noch ein Fass Bier mit den Unteroffizieren. Der Abschied war mir nach soviel Kriegsmonaten nicht leicht. Die treue feldgraue Kutsche in der ich anderen Mittags zur Bahn fuhr, hatten sie mir bekränzt wie einen Hochzeitswagen. Im Talgrün hinter Mercy-le-Haut liess ich halten; ich konnte doch nicht so in Audun am Bahnhof ankommen. Das Gepäck war voraus, es hatte einen besonderen Wagen gefüllt, denn wenn man ein so lange Kriegsexistenz auflöst –

Bauer und Müller 3 fuhren zu seiner Beförderung mit; trotzdem erreichte ich den erhofften Anschluss nicht; der mich noch abends spät nach Düsseldorf gebracht hätte, sondern lag vier Nachtstunden in Koblenz im Wartesaal. In Düsseldorf 3 Stunden, in Hoppenstedt einen Tag – am nächsten war ich in Berlin, ging ins Hotel Atlas und meldete mich in der Dolmetscherschule.

Man wusste dort von nichts – und dies erschien mir auch weiterhin die hervorstehende Eigenschaft der dortigen Geschäftsführung: niemand teilte einem etwas Bestimmtes mit, gab klare Vorstellungen. Also ich wurde für den italienischen Kursus vermerkt und eine Prüfung wurde angesetzt. Nun hatte ich zwar, nur aus verklungenen Erinnerungen meine italienischen Sprachkenntnisse aufzufrischen versucht, aber vor dieser Prüfung bangte mir doch mit Recht. Denn Kriegsjahre zahlen doppelt auch in dem, was man vergisst von ehemaligen Können. Also ich fiel glänzend durch. Der Lehrer, Leutn. D. bezeichnete es als höchst unwahrscheinlich, dass eine spätere Wiederholung der Prüfung ein anderes Ergebnis haben würde. Der Adjudant, mit dem ich sprach hatte dagegen mehr Verständnis für geistige Kriegsbeschädigungen und versprach die Sache beim Hauptmann vorzubringen.

Es geschah nun zunächst nichts. Ich besuchte den Unterricht, der in einem Keller befindlichen Versammlungsraum des Marinehauses stattfand, „ricovero parascheccie“ von uns Italiani genannt. Einige Herren kamen bald zur Front, die Zahl von 8- 10 Schüleroffizieren schmolz etwas zusammen. Für alle Fälle versuchte ich zu ergründen, wenn ich eigentlich meine Kommandierung zu danken hätte, ob nun mein Gesuch oder etwa auch dem Hauptmann Rupell, dem Schwager Hollenders. Auch suchte ich die Kriegsrohstoffabteilung auf von der aus die Offiziere zur wirtschaftlichen Bearbeitung unserer Etappe versandt werden. Auch hier wurde mir einige Hoffnung gemacht.

Da las ich eines morgens am 5. oder 6.12 im Tagesbefehl; Oberst.V. Zur Truppe zurück. Dem Hauptmann, der mich tags zuvor bei einer Besichtigung des sogenannten Anfängerkurses hatte sitzen sehen, in den ich aus lauten Eifer ging, war an mein Dasein erinnert worden.

Ich trug ihm nun andern Tags, im Helm, vor wie die Verhältnisse bei mir lägen und dass ein Zurückkehren zur Kolonne, nachdem ich mich gemeldet, nicht allzu angenehm wäre. Er gestattete mir entgegenkommender Weise noch zu einer neuen Sprachprüfung einzuarbeiten, nun arbeitete ich energisch weiter und genoss nur nebenbei Berlin, das hungernde Berlin des 4. Kriegswinters mit seinem unverminderten Rummel. Kurzer Besuch von Liese Mitte Dezember – die Prüfung, derenthalben ich unser Zusammensein schmälerte, fand nicht statt. Weihnachten kam näher und damit das Ende des Kurses. Die Offiziere, die nicht ins Feld gesandt wurden, blieben von selbst bis zum nächsten Kurs. Der fängt erst am 3. Januar an. Dazwischen aber, vom 22. Dezember bis 2. Januar, wird man nach Hause reisen können. Traumhafte Aussicht! Es gibt zwar allerhand einschränkende Bestimmungen für Urlaubsverkehr an diesen Weihnachten der abgenutzten

Schienen, der astmatischen Lokomotiven – aber zum Schluss gehts doch – wie stets beim Militär.

Es folgt der Weihnachtsurlaub in Hoppenstedt, dem ein poetisch veranlagtes Gemüt zu einem „Winteridyll“ im Sinne des Stielerschen unbedingt verarbeiten würde, während ein zeitgemäßer Kopf ihn zu einem höchst wirkungsvollen und einträglichen Film verwerten müsste. Etwa so erstes Bild, der verschneite Traumwald, in der Morgensonne funkelnd. Durch den tiefen Schnee stapft der feldgraue Urlauber mit seiner Frau, Axt und Säge in der Linken, um einen Weihnachtsbaum zu erlegen. Die umgesägte Tanne wird dann von beiden, voll Ausgelassenheit, nach Hause geschleift. Zweites Bild u.s.w. Vorher natürlich Bahnhofshalle im Dunkel des Wintermorgens, Bogenlampen blinzelnd durch den Dunst, der Bahnsteig überfüllt mit paketebeladenen Kriegern, Einlaufen des Zuges, Stur auf die überfüllten Wagen – –

Es folgt Kinderjubel, feiertäglicher Gottesdienst in der Dorfkirche, Schlittenfahrt und viele volle Schüsseln auf dem einsamen Heidegut.

Am 3.1.1918 begann der Sprachkursus wieder wie üblich; am 4. sagte mir der Lehrer, er werde mich am andern Tage prüfen, und wenn ich auch über dem Ausgang ziemlich ruhig war, so passte mirs doch nicht recht, dass ich gerade an meinem Geburtstag gesteigert ochsen sollte, und liess mich auch nicht abhalten zu feiern. Die Prüfung war diesmal von beiden Teilen – dermaßen gut vorbereitet, dass keine Fehler vorkamen. Am 6.1, der ein Sonntag war, sollten wir uns gleichwohl alle in der schule versammeln, und tun, wie wenn wir flüssig arbeiteten – denn ein hohes Tier aus dem Gr. Hauptquartier wollte die Schule „in Betrieb sehen“. So setzte ich bemooster Scholare mich auf die Bank – wie jeden Morgen den Tagesbefehl vorher lesend. Und da stand, dass ich, nebst anderen Herren des ital. Kursus, wegen mangelnder Verwendungsmöglichkeit auf den südlichen Kriegsschauplatz zur Truppe zurück geschickt würden. Das heisst, zum Ersatztruppenteil, denn meine Feldstelle, die Kolonnenführung ja ohne dies in andere Hände übergegangen.

 

Jan.1918

Sechs Wochen nur währte dies verspätete Studentendasein an der Dolmetscherschule – und gleichwohl musste ich mehrfach nachhelfen, dass ich nicht schon nach 2, nach 5 Wochen abgeschoben wurde – während andere in den Vorbereitungskursen viel länger herumsassen wie ihnen lieb war. Der Bedarf an der Front war eben unregelmäßig – wie es denn ein Zufall war, dass gerade, als ich mich der fertigen Ausbildung näherte, unsere (Operationen) deutschen Unterstützungen gegen die macaronis ganz zurückgezogen wurden. Der Unterricht war recht zweckvoll, morgens Sprachkursus, der die allgemeine Kenntnis der Sprache voraussetzte, und mit allen Schützengrabenausdrücken, den Abzeichen der Armee und Marine vertraut machte. Nachmittags sogen. techn. Unterricht, der uns mit den höchst ingeniösen „Arend“aparaten bekannt machte. Da der Betrieb sinngemäß auf die Kriegsbedürfnisse eingestellt war, so fehlte alles hemmend Kommissige. Durch einen Zufall, das Wiedersehen eines alten Kriegsbekannten in Hornborstels Buchhandlung, wurde ich – während schon mein Marschbefehl und Fahrschein nach Hagenau zur Einsatzabteilung geschrieben war – bei der Landesaufnahme eingeführt und angenommen. Zunächst wurde ich dort vorgesehen für die Vermessungsschule in Warschau; – da aber der Ordonanzoffizier des Obersten Launhardt ins Feld kam, erhielt ich dessen Posten. Zunächst glaubte ich mich bei meinem Alten und nach der langen Gewöhnung an militärische Selbständigkeit – für eine solche Tätigkeit nicht recht geeignet. Ich denke aber, mich gut eingespielt zu haben, und konnte bald meine volle Arbeitskraft an eine Sache setzen, die -, während der kurzen Monate meiner Mitarbeit,- um ein Vielfaches wuchs. Der „Leitung der Gesamttriangulation“ wurden, auch die an die Landesaufnahme übergehenden Vermessungsarbeiten des besetzten Ostens übertragen. Hier war das Arbeitspersonal, Stäbe, Vermessungstrupps, Trigonometer, Topographen erst aufzustellen, z. T. erst zu beschaffen, und die Leitlinien mussten festgelegt werden, während gleichzeitig Aufgaben in der Türkei hinzukommen und Rumänien.

 

1918

Vom 1.II bis ___V, kurz nach Pfingsten, arbeite ich mit Oberst Launhardt zusammen; einen Vorgesetzten, wie man ihn wohl selten findet in solcher Freundlichkeit und Offenheit. Ich gab mir um so mehr Mühe da ich nie ein Wort des Tadels zu hören bekommen habe. Keinerlei Kommiss-betrieb, der Geschäftsbetrieb war auch nicht gross genug, um eine eigene buro mäßige Ordnung zu haben. Oberst L. erfasste sehr rasch, arbeitete schnell und machte sich daher die Arbeitsstunden recht bequem. Von mir verlangte er nichts anderes. So blieb ich wieder ein paar Tage an der Dolmetscherschule – am Donnerstag stand aufs neue im Befehl: „Der Abmarschbefehl ObLt. Volkmann bleibt bestehen“. Aber die paar Tage hatten genügt mich einen andern Weg finden zu lassen für mein Kriegsdasein: Ich war in einer Buchhandlung zufällig meinen alten Bekannten Hauptm. Trauss begegnet, mit dem ich schon in Flandern auf Bücher gefahndet hatte. Beim gemeinsamen Abendessen erwähnte ich, dass ich mit morgen ein Stellungsloser  sei, u. Er schlug mir so gleich vor, mich bei dem Chef der Landesaufnahme, bei der er seit kurzem beschäftigt sei, unserm alten Divisionsk´deur von Bertrab zu melden. Als ich diesen anderen Morgens im Dienstanzug meine Bitte vortrug, nahm er mich gleich an u. ich sollte wenn die Genehmigung der Ers. abt. einträfe, der neugegründeten Schule für Vermessungsausbildung der Polen in Warschau als Offizier beigegeben werden. Die Einwilligung liess lange auf sich warten – zwischendurch durfte ich „zur Vervollständigung meiner Feldausrüstung nach Düsseldorf fahren. Als sie am 31.1. kam, war über meine Verwendung schon anders bestimmt: als war zum Ord. Offizier des Obersten im Generalstabe Launhardt bestimmt, der die Gesamttriangulation unter sich hat. Einarbeiten war bei dem geringen Geschäftsumfang leicht.

Vom 7-10.II machte ich mit Oberst L die erste Dienstreise nach Warschau u. Brest-Litowsk. Im Schlafwagen fuhren wir vom Bahnhof Friedrichsstrasse bis Warschau durch, wo wir morgens acht Uhr, mit knapp 1 Stunde Verspätung einliefen. Das Leben der slavischen Grossstadt, obgleich durch den Krieg sicher stark gebunden und modifiziert, pulsierte lebhaft. Flinke Droschken; deren Gummiräder der Deutsche des Jahres 1918 mit fremdartigem Staunen sieht, fliegen über das Holzpflaster. In den Läden sind noch die bei uns traumhaft gewordenen Dinge reichlich ausgelegt: Schinken und Schmalz, Backwerk, gutes Schuhzeug. Das große Hotel ____ ist mit internationalem Comfort angelegt; wir erhalten durch die Kommandanten jeder ein gutes Zimmer zugewiesen. Die Besichtigung der Vermessungsschule ist eine kurze Stippvisite. Am anderen Morgen nach Brest-Litowsk, auf das in diesen Tagen die Augen der Kriegsführenden mit Spannung gerichtet sind. Dass der Friede mit der Ukraine in der letzten Nacht unterzeichnet sei, hörten wir schon unterwegs. Litauisch-Brest ist eine Ansammlung von Häusern, von dürftigen einstöckigen, teils nach russischer Art aus Holz gebauten, teils mit Putzschwindel international verkleideten. Sehr weiträumig in dieses Land, das ja nichts kostet, aufgestellt – doppelt trostlos im jetzigen Zustand der Zerstörung. Die Citadelle liegt 20 Minuten davon. Ihre – sämmtlich nicht zerstörten Kasernen und Häuser beherbergen nicht nur das Oberkdo. Ost, sondern in diesen Wochen auch die Friedensdelegationen der Mächte, die in einer Reihe von Hausblocks aus rotem Ziegelstein, etwa für verheiratete Unteroffiziere, untergebracht – sich wenigstens nicht über Ungleichheit in der Quartierung beschweren können. Übrigens merkt man von der Bedeutung dieses Ortes und den Fäden, die sich von hier zu den Hauptstädten der Kriegführenden spinnen, nicht viel, die Strassen sind leer kaum sieht man einen Kurier. Der Oberkommandierende, der alte Leopold von Bayern, hatte seinen 70 Geburtstag, und so kamen wir gerade recht zum Fest. Oberst. L war ins Casino 1, der „Spitzen“ geladen; in dem grossen Casino 3, wo ich war, ging es aber nicht weniger festlich zu – zumal in dem Nebenzimmer, wo die verschiedenen Gattungen der kriegsmäßigen Luftfahrerei ihre besondere Tagung mit viel flüssigen und einem rheinischen Tönchen begingen. Ich war durch Freund Albert Poensgen dorthin mitgenommen – und der Oberst hatte den sicheren Riecher als er mir vorher sagte: „ich hole Sie dort ab“ – um so bis in die späteren Stunden an dieser davor hafteren Tafel kleben zu bleiben.

18/19.2 allein Dienstreise nach Münster a/ St.; zurück über Rüdesheim, Düsseldorf, wo ich mit Angina 2 Tage festlag, Hoppenstedt (wohin ich erst nach  einem unfreiwilligen Nachtaufenthalt in Celle kam).

24.02 zurück Berlin

7. März 1918 abends Schlafwagen Dienstreise nach Stuttgart, Besichtigung der Ersatz- und Versuchsstelle für im Feld zu verwendende Trigonometer u. Kastenzeichen. Besonders die bisherigen Ergebnisse und die Methoden des trigonometrischen Bestimmens von Punkten aus Flugzeugphotoprogrammen, werden uns durch Lt. d. R. Fischer einen Wissenschaftlers vorgeführt. Dies Problem durch welches die Flugzeugphotographie nicht nur ein wichtiges Hilfsmittel des Kastenzeichnens würde, sondern mit der Genauigkeit trigonometrischer Messung die Punkte des Geländes berechnen lassen würde, war schon bei dem eine Woche vorher in Berlin tagenden Kongress ein in Brennpunkte stehendes gewesen.

Am 9.2 11 Uhr vorm mit einem Dienstauto entzückende Fahrt durchs Schwabenland (Marbach, Waiblingen,) abends 8 Uhr Rückfahrt bis Erfurt, von wo ich für den Sonntag nach Bachstadt fahre.

Am 15 abends nach Wien mit Oberst L. und Hauptmann Degners. Besprechung im mil. geogr. Institut.

Montag 18. habe ich für mich. Von ½ 9 – ½ 1 allein unter den schätzen der kaiserlichen Gemäldegalerie, nachm. Schönbrunn, Stadtbummel Abendessen 7 Uhr zu Nordwestbahn; Ankunft anhalten 03.11 Uhr früh. Die Aufgaben der „Leitung A“, d. h. des Obersten (Launhardt), vergrössern sich in diesen Monaten wie ein Luftballon, der aufgeblasen wird. Eine Vermessung und topographische Aufnahme der ganzen Gebiete, die von uns im Osten jetzt besetzt gehalten werden.

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22.03.1918 Am Tage unseres grossen Sieges an der Westfront hält hier in Berlin Herr Lohn-Wiener oder Wiener-Lohn einen Vortrag über Cezanne und Gauguin, Van Gogh „jene epochale Trias“ u.s.w. in neugeformten Superlativen.

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Pfarrer Schütz soll die Witwe meines Kampfmann Langrock geheiratet haben (oder wohl richtiger umgekehrt)- für Den der die Figur dieses Satyrspiels nach der Tragödie kennt, ist es diffizile, tragicomediam non scribere.“

 

Vom Ostersamstag, 30.03 bis 11.04 Osterferien in Hoppenstedt Besuch von Oberst L. zur (Birkhahnbalz), und Vorfrühling in der Heide.

Am 15.04. abends mit Oberst L. zu den Vermessungsarbeiten der Gesamttriangulatuion im Westen. (Es war für mich schmeichelhaft, dass Hauptmann Leupold, den Adj., bat, dass ich hier bleiben solle als der in den wichtigen in Vorbereitung befindl. Arbeiten bewanderte. Aber der colonello wollte sich u. mir den Spass nicht verderben) Morgens Köln, nachm. 06. Trier, wo mit Pehnack im Casino eine gediegene Weinprobe nimmt. 17.04. Fahrt nach Trierweiler, wo ein Vermessungsturm; zurück Trier, dann über Station Waldhof nach Luxemburg. Bei der schnellen Fahrt im offenen Auto hatte ich so gefroren, dass mir der Pelz, den eine Kompanie des Landsturmbattl. aus ihrer Kammer mir lieh, sehr willkommen war. Auf den Stationen Bericht der Beobachter Messungen konnten wegen der Witterungen in unserer Anwesenheit  nicht ausgeführt werden. Nachmittags Luxemburg, sah mir das Städtchen allein an, mache Einkäufe

18.04 von Luxemburg über Arlon nach Monmédy [Montmédy] (aus pneumatikalischen Gründen), Margut, St. Walfroi [St. Walfroy], Sedan. abends „Traube“ wo auf dem Turm der hochgelegenen Wa[l]lfahrtskirche die „Gruppe 2“ ihr Beob.gerüst hatte.

19.04 Sedan – Bouillon (von fern den Holzturm gesehen) – zudem in der Einsamkeit weitab von der Straße gelegenen Jagd schloss der König der Belgier, Ch. des amérois, das wir fleißig besahen u. photographierten[,] dann Besichtigung der auf dem Felsen über der Sambre trotzenden Burg der Grafen von Bouillon. Die baugeschichtlich so interessante Burg wurde besichtigt. Weiter über weite, einsame Waldhöhen – denen Axt und Säge- Hilfsmittel für den Stellungsbau – mit deutscher Gründlichkeit- zur Leibe gegangen sind, nach Mézière-Charleville [Charleville-Mézières]. In dem neu ausgestatteten Offiziersheim aßen wir (erneut Panne!) und fuhren abends noch nach Mainbrécy [Mainbressy ] (Station 3) und Vervins, wo ein behaglich – alt eingerichtetes französisches Hotel das Offizierquartier war. Hier hinten merkt man nicht sehr viel von den schweren Kämpfern – nachts ein paar Flieger, für Weller, den Burschen u. Buchbinder, den alten Knacker, den Launhardt überflüssigerweise mitgenommen, ein Heldenerlebnis.

20.04 morgens fährt auf dem laut übers Pflaster klappernde Verbreiterungsplatten an den riesigen Rädern eine Traktorenkolonne ein geheimnisvoll überdecktes Geschütz vorbei. –

Samstag. 20. Vervins-Marle neuen Punkt, den Pehnack erkundete. Mittags Guise. Fahrt Thioleth [Thiolet], wo ein riesiges Beob. gerüst, von Sembries gebaut, fast fertig ist. Rückkehr Guise.

Sonntag. 21. Ausflug westwärts u. Quentin, dem grauen voll zerschossenen, und in die Stellungen

westlich von wo einige „Kriegsandenken“ mitgeschleppt werden kostete/Schlauch/Reifen

 

[Bemerkung am Rand, Bezug zum Text unklar:] die sich einen Monat ja weit hinter unsern Linien liegen

 

Abends Le Cateau.

Montag. 22. – Avesnes – Maubeuge Ausflug im Auto ins Belgische

Dienstag.23. Maubeuge Köln, Mittwoch Köln – Düsseldorf – Berlin.

Hier finde ich die furchtbare Nachricht, dass 3 liebe Regimentskameraden, darunter der treueste, Konrad, gefallen sind. Vorher die Nachricht vom Tode von Otto Preyer und die uns in Herbesthal erreichende Trauerkunde, die jeden wie der Verlust eines persönlichen Freundes traf, dass Richthofen gefallen! Das Niederdrückendste sind die Gegensätze! Der Egoismus dieser mehr dem Vergnügen wie etwas anderen dienenden „Dienstreise“ wo hier die Aufgaben drängen. Auch die beschwörenden Plakate zur Kriegsanleihe stehen in einem bösen Gegensatz zu der Art wie hier Staatsmittel ausgegeben werden, herumgereist wird „da es ja jetzt keinen Etat giebt.“ Besser wie Kriegsanleihe zeichnen ist: Dazu beitragen, dass der Kriegsanleihe bedarf möglichst nicht ins uferlose wächst – da kaum mancher ein Teilchen zu helfen.

Zum Landsknechtsdasein sieht meine Generation sich noch länger verurteilt, die wir uns das Leben gedacht hatten, in Erfüllung eines erwählten Berufs, mit Frau und Kindern.

Nun liegt dies Dasein (diese Kultur) irgendwo, hunderte von Kilometern fern, noch immer in Kisten und vielleicht werden wir es um uns erst wieder aufbauen für den Lebensabend wie jener Condottiere, dem die sehnende Gattin während seiner Kriegsfahrten die Villa Imperiale bei Pesaro erbaute mit der Aufschrift: „redeunti e bellis conjugi erexit uxor fidelis“

Bis dahin aber schlägt man täglich seinen Purzelbaum in der Tätigkeit, in die der tausendste Zufall einen stellte.

Berlin, das geistige Berlin, ist eigentlich noch ganz vorkriegs-zeitlich: Wedekind, und die Mehrzahl der Litteraten die zu Worte kommen, leiden noch an den selbstbereiteten Schmerzen der Überkultur (aus Mangel an anderen schwereren Erfahrungen) und ihre Dichtungen ihre Weltanschauungen werden (wie gestern, 28.4.) vor einem ganz vor-kriegszeitlich wirkenden Auditorium von Kunst- Weiberln, semitisch aussehenden Jünglingen, vorgetragen – übrigens vorzügliche Deklamation – von L. Hart.

04.05.18 Dienstreise mit Excellenz v. Bertrab und Oberst L. nach Jena zu den Zeiss-Werken. Anschließend Weimar und Besuch in Bachstedt über Sonntag Montag.

Dass unsere gewaltige Frühjahrsoffensive nicht zu einem vollen „Durchbruch“ gediehen ist, wird bedauert und betrauert. Mir scheint ein solcher „Durchbruch“ ins Freie „der uns wieder zu Zuständen wie im August 1914 führen würde, heute unmöglich. Denn wenn die Stoßtruppe auch so viel Stellungen hintereinander überrannt hätte, dass schließlich keine Truppen, keine ausgebauten Stellungen mehr vor ihr liegen würden – dann – kann sie selbst nicht weiter. Nicht nur wegen eigener Erschöpfung – die soll auch als nicht vorhanden angenommen werden – sondern weil der Tross durch das zerfurchte Gelände der Linien einfach nicht so nachkommen kann. Und ohne die Wagentruppen: die Kanonen, die ungeheuren Munitionsmengen, die Verpflegungskolonnen können die zusammengeballten in Infanteriemassen nicht vor. Viel schneller wie die herankommen, hat unbedingt der Gegner Reserven von anderen Fronten von rückwärts durch das – noch unzerstörte Gelände herangekarrt, die, wenn nötig auch ohne vorbereitete Stellungen, das artilleristisch nicht mehr vorgearbeitete Vorgehen der Infanterie aufhalten. Deshalb ist – was vom Standpunkt des alten Grabenkampfes 1915 paradox klingt – nicht das Überrennen der feindlichen Hauptstellungen das schwerste Stück – sondern die Verluste sind nun so schwerer geworden, je weiter wir darüber hinausdrangen.

Eine andere, wirklich vorhandene Gefahr beim Durchbrechen ist das Finden von grossen Vorräten das unsere auf essbare Schätze schwer erpichten Jungens einfach festkleben lässt. Bei Montdidier z.B. sind die erbeuteten Schokolade- und Sektmengen dem Weiterdringen verhängnisvoll geworden.

Da mein Katarrh anhält, lasse ich mich vom Arzt untersuchen und ein leichter Lungenspitzenkatarrh wird festgestellt. Himmelfahrt brachte ich im Bett zu und vor Pfingsten wurde mir ein sechswöchentlicher Erholungsurlaub verordnet. Ich reiste erst nach Rückkehr von Oberst Launhardt am 23.05 nach Hoppenstedt u. kam am 05.07 wieder nach Berlin. Sechs Wochen wie im Frieden.

Gartenbau und Kindeszucht und Lesen guter Bücher, vor allem musste ich ja meiner Gesundung wegen Liegen im Freien und untätig sein.

Nach der Rückkehr heile ich mich in Berlin in der behaglich eleganten Wohnung, die mir in der Bochumerstrasse von ihrem Inhaber, einem kriegsverletzten Offizier überlassen ist, erst völlig aus. Tätigkeit nicht übermäßig groß da in meiner Abwesenheit von Major von Rönne die Geschäfte der Leitung A. organisatorisch stark ausgebaut und noch andere Offiziere beschäftigt sind.

In unserer Politik vor dem Kriege war einer der schwersten Fehler die Überschätzung Oesterreichs als einer Macht, seine Beurteilung aus einer Perspektive der Kabinettspolitik, die die centrifugalen völkischen Triebe unterschätzt, wie Metternich unseligen Angedenkens, als er die Donaumonarchie neu zusammenklebte, nach der Landkarte. Allein die furchtbare blutige Ironie der Geschichte ist es, dass die Preußen-Deutschland, dass der Habsburgerstaat einen nieder zu halten suchte, wie er konnte, nun sein ganzes Herzblut vergiesst, um dieses Staatengebilde zu halten, das doch nicht mehr zu halten ist. Dieser Zerfall schon soweit fortgeschritten ist, dass zum Beispiel in den Kriegszügen der abgefallenen Tschecho-Slovaken eine Erscheinung zeigt, wie es die Weltgeschichte wohl noch nicht gesehen hat. Diese Leute, die schlechte Soldaten waren, solange sie im Felde lagen gegen die Feinde ihres Staates, beweisen Zähigkeit und Todesmut nicht nur, sondern auch Disziplin, als sie nun kämpfen können und dem Ziele Oesterreichs zu zerstören. Gegen den Staat, von dem Sieg, eine Legion von 40-60 Tausend Hochverrätern ihr Volkstum losreißen wollen, können sie aus der Ferne ihre Gefangenschaft, die Waffen nicht richten – es genügt ihrem Willen, dagegen zu kämpfen, ihrer Zähigkeit, wenn sie das Russland, das mit Oesterreich Frieden schloss, angreifen. Auf tausende von Meilen getrennt von Freunden, von einer helfenden Basis, gegen die Übermacht so riesigen Massen wollen sie doch kämpfen, kämpfen – Uns kann recht sein, wenn so in der Wolle gefärbte Feinde des Germanentums nun ordentlich zur Ader gelassen werden, nachdem sie regimenterweise überlaufend, vorher ihre Kraft erhalten hatten – aber ausrotten kann man ihre [stirps?] nicht mehr.

In unserer Lebenshaltung sind wir heute – trotz aller Einschränkungen – noch vor kriegszeitlich; der Geldverdienst ist heute bei der Mehrzahl der Leute ein wesentlich höherer, dass die Teuerung der Waren, die ja auf manchen Gebiet erst eine Folge des so stark vermehrten flüssigen Geldes ist, vom einkaufen, vom Geldausgeben nicht abhält. Und ob dies und das wirklich weniger gekauft wird ist ja nicht das Entscheidende, sondern die Gesinnung, der Wille einfach zu sein. (weniger Eleganz etc.) Die wirkliche Einschränkung wird erst eintreten nach dem Kriege, wenn die Kriegsaufträge, die mit den gepumpten Milliarden bezahlt werden, wegfallen.

 

Anfang August und Anfang September Besuch von Liese in meiner möblierten Wohnung. Ich habe mich von Berlin weggemeldet aus „inneren Gründen“ – auf die freiwerdende Stelle des Leiters der Hauptdreiecksmessung West. Beende damit nach 10 Monaten mein Berliner Gastspiel.

Vorher sendet mich der Oberst zur Teilnahme einer Grundlinienmessung nach Rumänien, – ein willkommener Auftrag, und ich sehe es nicht als meine Sache an, zu prüfen ob in diesen bitterschweren Zeiten eine solche Arbeit kriegswichtig genug ist. Für die trigonometrischen Arbeiten im Ölgebiet von Leutnant Wrage giebt sie eine feste Unterlage. Ich fahre Sonntag, 22.09. von Berlin über Liegnitz, wo ich mir einen kurzen Überblick der dortigen Barockarchitekten erschaffe – nach Breslau, dessen Städtebild ich einen Tag studiere. Montag Abend, nachdem ich auf dem abgelegenen Freiburger Bahnhof mit den von Josefstadt zur Messung, kommandierten Herren zusammengetroffen bin, fahre ich allein mit Schlafwagen nach Budapest, dessen großstädtische, regelmäßige Anlage mit dem lärmvollen magyarischen Strassenleben mich bis Mittwoch mittag fesselt. Weiterfahrt über Arad – wo ich glücklicherweise aus dem übervollen ungarischen Schnellzug in den deutschen „M.U. Zug“ steigen kann. Am anderen Morgen um 6 Uhr Schässburg mit der auf grünen Hügel lagernden Kirche. Halt bis Mittag. Stadt, Schlossberg, Spaziergang weiter Kronstadt.

Freitag 27.09. Zinno bestiegen, Stadtkirche, Aufnahmen Weiterfahrt über die Berge nach Predeal, weiter Campina Ploesti [Ploiești]. – an Baicoi [Băicoi]fuhr der Schnellzug vorbei. Abendessen, Telefongespräch mit Wrage in Calinesti [Călinești]; darauf Rückfahrt nach Baicoi, wo mich Wrage im Wagen abholt im Landsitz Cantacuzenu.

Fahrt nach Campina mit Hauptm. Breitter.

Sonntag: Spaziergang zum Weinberg.

Montag: Beginn der Basisvorbereitungen, ich lerne das Dasein des rumänischen Bauernvolkes in dieser herrlichen Gegend, am Fuss der Berge, die dem Landschaftsbild den Stempel geben, kennen.

Nachm. Fahrt nach Magureni [Măgureni], wo wir auf dem Gut Dörrpflaumen, Dörräpfel, Pflaumenmuß im Grossen einkaufen. Ein Kastenwagen muss die schweren Kisten abholen. Bei der Rückfahrt in Floresti [Florești] Halt bei unserer dicksten Freundin die den obligaten Zuika mit einem Glas Buttermilch kredenzt. Das Herrenhaus des „Doktor“ Kantacuzenu – eines Mitgliedes der bekannten Fürstenfamilie dem hierherum riesiger Landbesitz gehört – ist von der Strasse her einstöckig, weiss geputzt wie alle Häuser hier und mit seinen flachen Dach wenig imposant.

Nach der Rückseite wo das Gelände zur Prahowa Niederung abfällt zweistöckig mit ein paar Gartensälen, die, halb in der Erde steckend, vorzüglich angenehm sind für die brütend heissen Sommertage. Alle Räume sehr gross, wenig Fenster, Durchaus Pariser Einrichtung. Auch die Bücherschränke verraten die völlig französisch gerichtete Kultur.

Mittwoch 02.10. nachm. Wieder zum Mosttrinken und Traubenessen mit den anderen Herren der

Messung zum Weinberg, wo Wrage sich von der reizenden nicht trennen kann.

Donnerstag Bukarest, das wie ein riesiger Trödelmarkt wirkt. Zusammen hanglos steckende Häuser, Eleganz Pariser Kitsch, neben dummen Hütten dazwischen verstreut die kleinen orientalischen Kirchen.

Dass unser Feldgrau noch absolut die Herrschaft und Ordnung hat, hindert die rumänischen Offiziere nicht, stutzerhaft in ihren eleganten Uniformen und mit ihren Kriegsgedenkzeichen auf der Kalea Viktoriei zu bummeln – unsere Offiziere, die hier kein schlechtes Leben zu führen scheinen, haben sich offenbar mit den rumänischen Damen besser befreundet –

Ich kaufe durch Vermittelung des Wirtschaftsoffiziers billig Weine und Liköre; der Droschkenkutschen, der die schwere Kiste zur Bahn fahren soll, muss erst geschickt überlistet werden. – Den Beobachtungen u. Erlebnissen des Architekten gebe ich in diesem Kriegstagebuch keinen weiteren Raum.

Freitag 04.10.1918 Teilnahme an der Messung, die bei den eingespielten Teilnehmern (die ja unmittelbar vorher in Josephstadt dasselbe gemacht hatten) gut vorangeht. Am Samstag mittag werden wir fertig. Es kommen einige Herren von unserer Vermessungsschule in Bukarest als Zuschauer. Sonnabend zweiter Besuch in Bukarest. Die begehrten Spirituosen können nun abgeholt werden, wenn man Flaschen bringt.

Sonntag Gäste im Schloss. Autofahrt ins Zigeunerdorf Margineni [Mărgineni]. Hahnen auf Spiess. Morgens Zigeunermusik im Hochzeitshaus („nunte“) – In diesen Tagen werden die ernsten Rückschläge an unserer Westfront, die Demokratisierung der Regierung Deutschlands bekannt.

Die in deutscher u. rumänischer Sprache verfassten Heeresberichte werden von den Bukarestern voller Interesse studiert.

Dienstag 9.54 Abfahrt von Baicoi nach Bukarest – Güterbahnhof. Da wir gegen 4 Uhr ankommen und der Mil. Url. Eiltransportzug („Utez“) dem unsere beiden Wagen angehangen werden sollen erst um 10 Uhr abends geht, ist Zeit, in der Hauptstadt entweder – Freimarken zu kaufen

wie es Beer, der grosse macht oder das Juden- und Zigeunerviertel zu besuchen und, nach der schnell hereingebrochenen Dämmerung, bei Jordache ein echt rumänisches Abendessen einzunehmen.

Die Rückfahrt am eisernen Tor vorbei, über Temesvar, Budapest Güterbahnhof, durch Mähren (Kremnitz mit seiner unvergleichlich schönen Burg über der Stadt) und Schlesien geht es langsam, wie das bei diesem Zug anzunehmen war – es wurde vier mal dunkel und wieder hell, bis wir, mit 12 Stunden Verspätung – am Görlitzer Bahnhof hielten.

Der inzwischen zum General beförderte Colonell teilt mir mit, dass ich nun mehr ans Herausfahren in den Westen zu denken habe.

Dienstag 15.10. fahre ich über Lehrte – Hoppenstedt- Düsseldorf nach Méz. Charleville [Charleville-Mézières]. Die Aufgabe, um deren Übernahme ich den General vor 2 Monaten gebeten, die militärische Leitung der vier im Westen an einer neuen Hauptdreieckmessung arbeitenden Gruppen – gewinnt unter den inzwischen auf der Weltbühne eingetretenen Erschütterungen eine andere Beleuchtung.

Laon und Guise die die vorderen Eckpunkte der geplanten und in ihren Signalbauten fertiggestellten Dreieckskette werden sollten, liegen unter feindlichen Feuer, und in letzten Tagen in die Hand der französischen Truppen gekommen, infolge des riesigen Apparates unserer Rückzugsbewegung sind die Verbindungen verstopft – es gibt, von diesen so gross (zu gross!) angelegten Vermessung Arbeiten zu retten, auszuwerten was noch zu retten ist. Wahr ist´s, in dieser Stunde der Not gehörte jeder Mann an die Front, aber mit der nationalen Erhebung wird immer noch kein Anfang gemacht. Das Entfachen der Flamme wird nicht versucht – vom zündend verfassten Aufrufen grossen Worten haben wir in den 4 Jahren ja schon so viel gehabt und durch greifende energische Maßregeln ein Abbauen unserer riesigen Organisationen um des Kriegeswillen – dazu sind eben diese Organisationen zu schwerfällig. Es wird hier und da eingeschränkt, aber ich hörte von keinem, der selbst die Feder hinlegte und wieder zum Säbel griff – jedenfalls von keinem Aktiven von den Tausenden in der Kriegswirtschaftsbetrieben und Ämtern tätigen Herren.

Von Méz. Charleville [Charleville-Mézières] versuche ich zur Beobachtungsgruppe 1, die ich in La Bouteille vermute, zu kommen. Da aber bei telefonischer Anzeige von Hirson aus keine der fraglichen Ortskommandanturen etwas weiss, fahre ich zurück nach Maubert-Fontaine wo ich mein Geschäftszimmer einzurichten beabsichtige. Das heisst, ich besteige den Zug – eine Abfahrt schien vorläufig von den entscheidenden Mächten nicht beschlossen.

Nach Eintritt der Dunkelheit wurde der Zug in einen Nebengleis gefahren – wie wir bald merkten, weil bei dem mondhellen Abend Flieger vermutet wurden. Die kamen dann auch und bald tobte „die wilde Schlacht“ Signale, das Bellen von Abwehrgeschützen, dicht bei uns auf den Gleisen der Krach von Bomben mit schwarz aufsteigender Rauchwolke, dazwischen rasseln der Maschinengewehre, die Lichterstreifen zweier Scheinwerfer wie drohend hin und her bewegte Finger.

Am 16. Oktober beginnt der Krieg wieder für mich – wenigstens ein wenig, im Hintergrunde. Ich fahre über Méziére-Charleville [Charleville-Mézières] nach La Bouteille zur Beobachtungsgruppe, unserer Hauptdreiecksmessung; d.h. ich mache den Versuch – aber in diesen Tagen des grossen Räumens ist der Eisenbahnverkehr ganz unregelmäßig. Da auch telefonische Verbindung nicht zu bekommen, fahre ich von Hirson nach Maubert Fontaine, das mir als Ort für die Leitung der Dreiecksmessung empfohlen war. Der Zug, der 6 Uhr abends abfahren sollte, hielt und hielt – endlich wurde er in ein Seitengleis gefahren; bei dem mondklarem Abend vermutete man Fliegerangriffe. Bald waren wir auch wirklich in den wildesten Schlacht. Signale, dann auf allen Seiten Bellen der Abwehrgeschütze, dicht bei uns auf den Gleisen der Krach von Bomben mit schwarz aufsteigenden Rauchwolke, dazwischen das Rossrasseln der Maschinengewehre, die Lichtstreifen zweier Scheinwerfer wie drohend hin und her bewegte Finger. Nach Mitternacht, als drei Angriffe vorbei, setzte sich der Zug in Bewegung, und um 3 Uhr ging ich durch die mondstille Dorfstrasse zur Kommandanten wo wir sogleich Quartierzettel erhielten. –

Wird Deutschland die Kraft aufbringen zur inneren Erhebung? Die Frage bedrückt das Herz in diesen Tagen furchtbarer Einbusse. Werden wir diesen schwerfälligen ungeheuren militärischen Aparat auflösen können der zu viel Kräfte von der Front abzog?; die Maschine umschmieden können zum Schwert? Im Torweg steht ein kräftiger junger Soldat. Was sind sie?

„Der Kraftfahrer des Herrn Distrik[t]sveterinärs“ Und ihr? „Handwerker beim Scheibenbahnkommando des Schiessplatzes“ – Die ganze Schiessplatz- Verwaltung mit Offizieren u. Werkstätten, Burschen u. Offizierkoch soll verlegt werden nach Donaueschingen –  wärs nicht zeitgemäßer, ihn aufzulösen! Überall ein Weiterarbeiten ins Leere – fast wie bei den Arbeiten der Hauptdreiecksmessung. Lille ist geräumt Roubaix, Tourcoing und dem ganzen Westländern durch 14 Kriegsmonate mir vertraut. Lille, das von uns mit vielen Millionen Kosten zur modernen Festung ersten Ranges ausgebaut war, ohne einen Schuss aufgegeben. Freilich, die Rückzugsbahnen begannen bedroht zu werden, der Engländer brennt an der vorgetriebenen Ecke bei Kortrijk mit besonderer Hitze – gleichwohl, welche Werte, welche Pfänder liessen wir fahren.

In der Knechtschaft  erst lernen die Völker das zähe Festhalten am Nationalen, die Verschlagenheit. Die Rumänen wurden unter dem Druck der Türkenherrschaft ein Volk; die Polen haben unter Deutschlands Herrschaft gelernt, Handwerker, sparsame, zäh zusammenhaltende auf eine nationale Einigung hoffende Menschen zu werden; – wird den Deutschen die Not ebenso die Eigenschaften lehren, die ihm mangeln.

Der deutsche Michel mit der Zipfelmütze, der Bierbankphilister mit seinem „Recht muss Recht bleiben“ –  so stellt sich nach den Sozis nun auch Herr Erzberger auf und verkündet als der Weisheit höchsten Schluss in seiner Absonderung über den Völkerbund dass Deutschland Belgien im höchsten Maße unrecht getan habe – verkündet, darauf liegt der Ton inmitten unserer Kämpfe.

„Ich stand in der Mitte des Leben, als alles Dies kam.“

 

2.11.1918

In der Frage, wie weit Das, was jetzt hereinzubrechen scheint, unabwendbar ist, – wo die Grenzen des Möglichen für unser Volk liegen, hört man in Gesprächen manche Einzelheit ( und nun aus Einzelheiten) Zunächst, dass unsere schlechtesten Soldaten des jüngste Jahrgang sind, der die letzten vier Jahre keine Prügel, keine väterliche Zucht mehr erfahren hat und das viele Geld verdiente. Freilich, auch auf die alten Knaben, die mit den Kolonnen, Bagagen und Magazinen schon bis über die Maaß zurückgenommen werden, wirkt das „Richtung Heimat“ so faszinierend, dass sie für die Gefahr der Lage keinen Sinn haben und alles andere sind wie bedrückt. „Raus aus dem ….. Frankreich!“ Der Amerikaner geht vielfach schon so schlecht  vor wie der Engländer – aber unsere Kerls wollen eben nicht mehr. So wird uns auch die Maaßlinie nicht auf die Dauer schützen – zumal mit der nationalen Erhebung immer noch nicht ernst wird –  dem ein Leitartikel in unserem neuen Regierungsorgan, dem Vorwärts, kanns allein auch nicht machen – und für Aufrufe ist man ohnehin schon etwas unempfindlich.

Vom 02.11 bis 08.11 1918 bin ich in Berlin, in Vertretung des verreisten General Launhardt.

So muss es kommen! Ein Deutscher Militärtransport in Budapest auf dem Bahnhof entwaffnet! Als ob erst diese Nacht der Stimmungsumschwung dort gekommen wäre und nicht schon seit Tagen Deutschenfeindschaft, die Oppositionsdemokratie zur vollen Herrschaft, zum Bruch mit der Habsburgerei drängte ohne von diesen alten Mächten irgendwie gehindert zu werden. Freilich, die Evolution (von Revolution wie Graf Carolyi in einem Telegramm an den Vorwärts rühmte, kaum keine Rede sein) ist schnell gekommen aber eine Leitung, die auf dem Posten war, musste dies soweit übersehen, dass sie keine Transporte mehr nach Rumänien absendet. Wozu auch noch! Man darf es wirklich nicht laut sagen, was bei uns alles ruhig weitergeschieht – trotz dem Weltgeschehen dieser Tage! Da zeigt sich erst, wie schwerfällig unsere Maschine ist. Nachdem die erste Erschütterung vorbei ist dass Ludendorff abtreten musste, gewinnt, die kühlere Beurteilung Anhänger, dass er nicht nur der geniale General und Operationsleiter der riesigen Ausmaße, sondern daneben der unberufene Leiter des deutschen Nationalschicksals geworden war, und zwar unberufen in jedem Sinne. Selbst wenn er die Grenzen des Möglichen für unsere Sache richtiges hätte einschätzen können – mit einer wirklichen Regierung hätte er auf die Dauer in dieser unverantwortlichen O.H.-L.= Politik nicht arbeiten können. So aber hat es die Kasse an den Rand des Argumentes gebracht.

Ein Schlaglicht auf die „orientalischen Praktiken“ einiger führenden Türken auch in diesem Kriege wirft folgendes Geschichtchen. Dschavid bestellte bei einer deutschen Sektfirma einen Waggon Sekt mit dem Auftrag, die Flaschen müssten Etikettes und auch den Korkbrand <Veuve Clicqout> und <Pommery> tragen. Da die Firma sich weigerte, wurde die Sendung ohne Etikettes gemacht und die Flaschen erhielten in Constantinopel hergestellte Etiketten mit den edlen Aufschriften. Beförderung des Eisenbahnwagens erfolgte natürlich als dringendes Heeresgut. Da die Flasche französ. Sekt in Cospoli damals etwa 5 Pfund kostete, und der Einkaufspreis des deutschen 17,50 M. Betrug, muss der Handel gelohnt haben.

Wenn bei allen militärischen Behörden ein derartig unverhüllten Egoismus herrscht wie bei der L., dann scheint unser Zusammenbruch beinahe eine Notwendigkeit. Hauptmann Leupold der den Krieg seit Jahr und Tag in Berlin mit macht, ohne dass eigentlich jemand recht weiss, was ihm fehlt, hatte aus diesem Grunde nicht die Zahl von 60 Tagen im zu Ende gehenden Jahr im Kriegsgebiet verbracht; deren es bedarf, damit das Jahr als ´Kriegsjahr´ angerechnet wird. Er „erkrankte“ nun auf einer Dienstreise in den Osten – und schrieb von da an den Burounteroffizier, der möge ihm mitteilen, wie viel Tage ihm an den notwendigen 60 noch fehlten –

Anf. Nov.

Als ich von Rumänien zurückkam, tief gedrückt durch die Entwickelung der letzten Tage und in Erwartung einer neuauflebenden Kriegsstimmung – wunderte ich mich dass von den Buromannschaften verschiedene fehlten. „Ja, die <Heldengreif> Commission war da, das liess ich sie vorher verschwinden.“ Als sich jemand neu meldete, „Sind Sie kv.? „Ja“ – Da müssen Sie zunächst noch mal für´n paar Tage weg“……

Okt. 1918

Als ich in Bukarest war – in den Tagen, wo durch die Unterwerfung Bulgariens das Geschick unserer macedonischen Unternehmung besiegelt und die Rückwirkungen dieser Dinge auf die Bukarester Bevölkerung schon deutlich zu spüren waren, arbeiteten wir mit Hochdruck an der Einrichtung einer Vermessungsschule in Bukarest, in der von unsern eingespielten Beamten ein Stab von Trigonometern und Topographen ausgebildet werden sollte u. zwar neben Deutschen auch Rumänien. Schon, dass deutsche Vermessungstechniker, die z.T. in ihrer vorigen Stellung tüchtige Frontoffiziere waren, aus der Truppe gezogen wurden, wie Lt. P. , der als Bataillonsführer sich den „Hohenzollern“ geholt hatte – ist unbegreiflich, aber, dass wir unsern kaum bezwungenen Feinden uns hier wieder beeilen, unser militärisches Können beizubringen ist so – so- deutsch, dass man schaudernd sieht: wir haben nichts gelernt u. werden´s wohl nie lernen. – Der Gedanke, dass wir, um die grossen Vermessungen in den jetzt besetzten Gebieten schnell durchführen zu können, uns Gehülfen aus den Landeseinwohnern, heranziehen, die entscheiden den Arbeiten aber selbst machen und zusammenfügen wollen – dieser Grund rechtfertigt ein Verfahren nicht, bei dem der Feind uns derart viel militärisches Können und Wissen absieht.

Dass die Polen damals all unserem Streben, ihnen eine Wehrmacht zu schulen, so renitent gegenüber standen, müssen wir heute, wo sie gegen uns die Zähne fletschen preisen. Als wir sie vor 1 ½  Jahren ins Leben riefen, ging unsere Politik andere Wege und sah die Welt anders aus, gut; aber in diesem Frühjahr z. Beispiel konnte mir auch der an der Ausbildung arbeitende Hauptmann Menz Schwager von Amy Gathmann den Zweck der Übung nicht erklären – und es wurde doch fortgewurstelt.

[Weiter unten auf der Seite, wobei der Kontext unklar bleibt, in Bleistift:] sich längst gewandelt

 

6.11.18

Auch über die Tätigkeit des Hauptmanns jetzigen Majors Schack bei der Landesaufnahme in diesem Kriegsentscheidungsjahr ist es schwierig, eine Satire nicht zu schreiben. Wrage rühmte ihn zwar als angenehmen Vorgesetzten, er habe einem nie in den Kram geredet, habe sich nämlich in den Monaten, wo er dies Sonder Kommando führte, nie bei seinen Arbeiten sehen lassen. Arbeit leistete er – ausser vielfachen Anfragen u. Briefen um Tagegelder – mit Anträgen um einen lippe- oberlippischen Orden, der dann auch später eintraf. Um den „Hohenzollern“ war er s.Z. persönlich bei Launhardt vorstellig geworden mit der Begründung, es sei für ihn, als Bataillonsführer später doch peinlich, ihn nicht zu haben – verdient – bemerkte er zum Schluss nebenbei – habe er ihn ja reichlich. Auch er als sonst gesunder Mann seit Jahr und Tag bei der L.

 

Diese Kleinigkeiten halte ich fest weil sie zeigen, wie stark und unumschränkt der Egoismus im Offizierkorps herrscht __ freilich die, die hier sind, sind ja auch nicht erste Garnitur.

 

6.11. abends

Die Ereignisse überstürzen sich.; der helle Aufruhr, dessen Flamme von Kiel auf die andern norddeutschen Städte übersprang, sucht nach Berlin einzudringen. Aber hier sind Maschinengewehre, ein paar aus dem Felde herangezogene Reserve-Jägerbataillons für den Fall von Tumulten, sind niederfliegende Flieger mit Gasbomben zu erwarten – da würde ein Putsch nicht so glatt gehen wie im unbewachten Hamburg……..

 

7. Nov.

Ist es wirklich erst ein paar Monate her, seit auf dem Platz vor dem Lehrter Bahnhof, auf den die Fenster unserer Geschäftsräume hinausgehen, auch ein paar Kompagnien heranmarschierten und auf dem abgesperrten Vorplatz in dessen Umkreis hunderte von Menschen erwartungsvoll standen, eine Schar Matrosen  empfangen wurde? Die „Wolff“ Mannschaft zog, von einer Ehreneskorte geleitet, in die Stadt. Heut wird wieder eine Reihe von Matrosen eskortiert. Das Militäraufgebot ist etwas stärker und schussbereite Maschinengewehre stehen auf der Marschallbrücke. Die meuternden Matrosen, die seit 4 Tage in Kiel das Heft in den Händen haben, sind zu Hunderten nach hier gefahren, aber der Stadtkommandant hat aufgepasst und die ´Blauen´ werden klanglos abgeführt.

In Berlin bleibt alles ruhig; auch an diesem Samstag, 9.11. wo ich aus meinem Moabiter Quartier wie gewöhnlich zur Landesaufnahme fahre. Die Strassenbahn verkehrt, alle Leute gehen zur Arbeit, und bis der General habe ich die wie an jedem anderen Tag eingekommenen, Eingänge vorgearbeitet. Nieschlag telefoniert aus seiner Kaserne, wo er seit gestern einer Alarmbatterie zugeteilt ist, es sei alles friedlich allerdings sei seit 9 Uhr Generalstreik erklärt. Der General arbeitet schnell wie immer alles durch; wir besprechen an der Hand einer Karte die Möglichkeiten wie Mackensen durch Ungarn sich wohl durchschlagen wird.

Nach Eins sagt mir der General: im Innern sollen Unruhen beginnen die „Maikäfer“ kaserne gestürmt sein. Ich geh nach Haus, sonst reissen sie einem noch die Kokarden ab“. Auf den Strassen noch alles wie immer, Elektrische fuhren, vor dem Generalstab drüben stand ein Doppelposten. Ich blieb noch eine Weile, da kam Hauptmann Degener und ein anderer Offizier herein, schon im Mantel: „Zu spät, s´ ist schon zu spät.“ „ Na, ich werde sehen noch durchzukommen, habe Civil zu Haus.“ Ich ging gleich herunter und am Wasser lang zurück. Bei Schloss Bellevue eine Kompagnie Rekruten, Schutzleute umgeschnallt – alles machte einen beruhigenden Eindruck. Nachdem ich zu Haus gegessen (wobei mein Bursche mir erzählte, dass sie auf der Chausseestrasse einen Offizier erschossen hätten) zog ich den Civilanzug, den ich mir abends vorher von Bruder Erst hatte holen lassen, an, um mich auf der Strasse umzusehen. Alles ruhig, Kinder werden an die schöne Herbstluft gefahren; ein paar Soldaten kommen ohne Kokarden daher. Wie ich an den Tiergarten komme nahe dem Stern, fährt über die Hauptallee ein Lastauto, auf dem sie einen roten Lappen schwenken. Schreie ertönen, ein zweites Auto langsam hinter dem ersten und dann eine wilde Menge, Soldaten und Civilisten mit Gewehren dazwischen Frauen. Autos werden angehalten, ein paar junge Kerls mit Gewehr und gezogenen Seitengewehr springen über den Rasen auf eine Autodroschke zu, die angehalten wird, und, visitiert, weiter fährt. Ein Beamtenstellvertreter, am Arm seiner Frau, ohne Waffe und mit hässlichen Stellen, wo die Kokarden sassen, kommt eilig vorbei, die Angst im Gesicht. Schüsse hört man nicht. Auf den Nebenwegen gehen Spaziergänger; jeder wechselt Worte mit andern. „Kommt man dahin noch durch?“ fragen ein paar Soldaten, die noch mit Kokarden und Seitengewehr gehen.

 

Durchs Tiergartenviertel gehe ich zu den Geschwistern. Gerade als ich vorm Haus bin, kommt von der andern Seite aus der Potsdamer Str. wieder ein Zug[.] Zwei Lastkraftwagen voll Kerls – nachher hörte ich dass Masch. Gewehre darauf seien, und eine riesige Schar von Mitläufern. Der alte Portier liess mich ein, draussen wurde grade mal wieder „Es lebe Liebknecht“ gerufen. Schon kurz darauf kamen mit Tschakos und vollem Gepäck Jäger oder Marineinfanterie – sie hatten wohl das Reichsmarineamt besetzt – und waren ebenso butterweich herübergerutscht wie das Militär an allen andern stellen. Oder welchem Befehl mochten sie folgen?

Zeitungen wurden wie immer verkauft – in der Vossischen Abendzeitung steht ausführlich, dass der Kaiser abgedankt und dass der Waffenstillstand geschlossen. So stürzt des deutschen Reichs Herrlichkeit, zugleich mit allerbürgerlichen Ordnung zusammen. Kaum macht der Verstand es sich klar, dass dies vielleicht mein letzter Tag als Offizier, im feldgrau, war; dass während ich noch Mittags geschrieben hatte, alles hier ist ruhig – mit Sonnenuntergang eine neue Ordnung da war.

—-

Sonntag 10. gehe ich wieder ins Büro – vornehmlich aus Neugier. Zugleich um festzuhalten, ob Nieschlag wohlbehalten sei, der gestern zu der Artillerie-allarmbatterie getreten war. Aber auch da war kampflose Übergabe an eine Deputation des A. und S. erfolgt. Man rieb sich in den Geschäftszimmern sozusagen die Augen, zwei, drei Offiziere, natürlich in Civil, musterten, sich gegenseitig erheitert – auch die Burosoldaten hatte die Gewohnheit zur Stelle geführt. Zu tun gabs ja so gut wie nichts mehr; man macht es sich kaum erst klar, dass eine riesige Arbeit, der freilich wie der Turm zu Babel ins Ungemessene ausgedehnt worden war, nun um so klangloser zusammenbrach. Und welch ein Stück Nationalvermögen geht damit in den Dreck!

Aber die Geldentwertung wird wohl überhaupt noch rapide zunehmen. Gespräch auf einer Elekrischen, deren Vorderperrons jetzt überfüllt sind mit Soldaten, die natürlich nicht zahlen: „Mensch, ich bin aus Breslau ohne Urlaub herjereist, nu hab ick mir hier neu einkleiden lassen, unn´ 60.M. Vorschuss.“ (Ein anderer 50 M., und auf was für Kontrollen!) Die Pferde, die sie den berittenen Schutzleuten abnahmen, wurden abends irgendwo verkloppt.

Komme mir recht erbärmlich vor, dass ich dies klägliche Theater am Samstag hier ertrug – aber ich wäre so ziemlich der einzige gewesen, wenn ichs anders gemacht hätte.

                                                           _______________

11.11.

Merkwürdig wie sich doch alle Revolutionen gleichen. Wie beim Wasserfall vorher das Stagnieren, dann einsetzende Bewegung, die, erst unmerklich, überraschend schnell zum Absturz bringt. Für Ludendorffs Abgang, die Demokratisierung des Kabinets, die bei den ersten consitutierenden Versammlungen nur mühsam hergestellte Einigung zwischen radikalen u. noch Radikaleren, für alles sind die Vorbilder da, und die Zukunft? Der Zeitungsleser von gestern damit erfreut, dass der Bolschewismus auch die, die bei den ersten constituierenden Versammlungen nur mühsam hergestellten Einigung zwischen Radikalen u. noch Radikaleren, andern Nationen, Hollender, Italiener erfasse – aber die Presse, dem Bolschewismus hörig geworden, lügt seit Einführung „völliger Censurfreiheit“ noch viel faustdicker wie vordem.

                                                           _______________                              

Auch wenn die Geschichtchen, die über den Kronprinzen erzählt werden aus Stenay und seinen Damenverkehr in (Mézieres)-Charleville nicht alle wahr sein mögen – er hat es während des Dauerkrieges verstanden sich völlig ungeachtet und ungeschätzt zu machen in weiten Kreisen, die die Monarchie verehren. Noch denke ich der Verärgerung des ostdeutschen Korpsveterinärs, gewiss königstreu bis in die Knochen, über die im dritten Kriegsjahr in Charleville wieder eingeführte Bestimmung, S.K.H. durch Front machen, auch von Offizieren, zu grüssen. Wie hätte er, kürzlich noch, die abgespannte Stimmung an der Front heben können, wenn er etwa aus den Burschen, der Kavallerie Stabs- Wache, und zahllosen recht unnötigen Hauptquartiersoldaten, ein Regiment, eine Brigade gebildet hätte und nach vorn geführt. So verschwindet er unbetrauert. Auf der Friedrichstrasse lag ein erschossener Arbeiter, den man beim Plündern in einem Cigarrenladen ertappt hatte und zum Exempel liegen liess.

Die in drei, vier Tagen ganz Deutschland so in allen Provinzen, allen Bundesstaaten durchzuckende Bewegung beweist doch eine ungeheure Notwendigkeit, ein Überreifsein, das uns oben stehenden kaum bewusst war. Nicht eine Stadt scheint sich ausgeschlossen zu haben.

Kennzeichnend die Rolle der Juden, die am schnellsten ihr Mäntelchen nach dem Winde gehängt haben. Ein Herr Colin Ross, als Kriegsberichterstatter bis vor ganz kurzem noch unentwegt in das Horn tutend „unserer unvergleichlichen Wehrmacht“ ereifert sich jetzt in den Reihen des Arb. u. Soldatenrates.

So völlig unerwartet nur, und gewiss der Mehrzahl der deutschen, dieser schnelle und völlige Umschwung, der Revolution – (da ein besseres Wort noch nicht geprägt ist)- kommt, so schnell revidiert man seine Ansichten. Alles, was sich öffentlich äussern dar, hat sich schon „auf den Boden der neuen Tatsachen gestellt“- wie die bequeme Phrase lautet. Eine Woche liegt erst seit dem roten Samstag, und doch scheint heute schon eine Rückkehr der vorigen Zustände, die man am Morgen des 9. noch für vollkommen unerschütterlich hielt, undenkbar. Die anderen haben eben die Macht; die andern das heisst die Hunrigen; diejenigen dagegen, die irgend etwas ihr eigen nennen, die Mehrheit, die jetzt das Maul hält, sie haben das zulange entbehren müssen, was ihnen das Leben nun eben geschenkt hat, sie sind müde geworden, und ihr einzige Hoffnung war irgend etwas, das dieser Aussichtslosigkeit ein Ende machte. Auch darf man nicht vergessen, dass etwa 2 Millionen draussen unter der Erde liegen, die für das Deutschland wie es war, eingetreten wären. Draussen, in den Karpathen, in den rumänischen Bergen, auch in Palästina – und nun fehlen in den deutschen Ostprovinzen die deutschen Männer.

Die Ereignisse rollen weiter – aber der Krieg ist zu Ende, noch ehe die Friedenshandlungen begonnen haben. Das Zurückfluten der Truppen scheint ein Wieder – Aufbauen der Linien hinterm Rhein auszuschliessen – wozu auch? Wir sind in die Hände unserer Feinde gegeben, nachdem der deutsche Michel das Schwert von sich geworfen.

Der Krieg ist zu Ende und damit dies Buch, das meine Kriegseindrücke aufnahm mit der Zusammenhanglosigkeit, die, währendem Erleben, die einzige Möglichkeit einer Darstellung ist.

 

Hoppenstedt, 18. November 1918.

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