Über die Biographie Siegfried Wenigers ist bisher leider wenig bekannt. Von ihm sind nur drei vollständige Feldpostbriefe, ein Brieffragment sowie ein Fotoalbum überliefert. Aus seinen Feldpostbriefen erfahren wir, dass er, vermutlich als Kriegsfreiwilliger, wohl im April 1915 beim 2. Nassauischen Infanterie Regiment 88 seine Offiziersausbildung begonnen hat.
In dem Feldpostbrief vom 18. September 1915 berichtet er von seinem Einsatz in den Vogesen bei Barbas. Aus dieser Zeit ist auch eine von ihm handgezeichnete Karte erhalten, die die Stellungen der 9. Kompagnie des IR 88 bei Barbas zeigt.
In dem Feldpostbrief vom 20. September 1915 berichtet er von dem Abzug seiner Kompagnie von Brabas, über Blamont und Réchicourt-le-Château bis nach Dann bei Pfalzburg. Das IR 88 lag dort bis 25. September 1915 in Ruhe. Anschließend wurde es bis Ende April 1916 an der Champagne-Front eingesetzt.
Anfang Oktober 1915 scheint Weniger verletzt worden zu sein, wie aus seinem Feldpostbrief vom 9. Oktober 1915 hervorgeht. Leider schreibt er dort nichts über die Gründe und die Art der Verletzung. Die erwähnte Depesche (vermutlich ein Telegramm) und der erwähnte Brief sind nicht überliefert. Aus seiner Zeit im Lazarett sind zahlreiche Fotos erhalten geblieben.
Aus den Erinnerungsblättern des 2. Nassauischen Infanterie Regiments 88 geht hervor, dass Leutnant Siegfried Weniger am 4. September 1916 an der Somme gefallen ist.
Den Deutschen Verlustlisten vom 11. Oktober 1916 ist zu entnehmen, dass Leutnant Siegfried Weniger (8. Kompagnie IR 88) aus Beeskow schwer verwundet wurde. In den Verlustlisten vom 26. Oktober 1916 heißt es, Leutant Siegfried Weniger, der „bisher schwer verwundet“ war, sei verstorben.
Es ist also zu vermuten, dass Siegfried Weniger am 4. September 1916 an der Somme schwer verwundet wurde, ins Lazarett kam und dann Ende Oktober 1916 seinen Verletzungen erlegen ist.
Feldpostbriefe von Siegfried Weniger an seine Mutter
Mainz, den 17. IV. 1915.
Meine liebe, gute Mutter!
Entschuldige bitte, daß ich nicht früher geschrieben habe, aber ich hatte zu wenig Zeit. Am Freitag hatten wir Unterricht bei Lt. Kedor und immer Dienst bis abends 1 Uhr. Also ich bin glücklich angekommen, hatte in Halle 2 ½ Stde Aufenthalt und habe Karli in der Schule besucht.
Er hatte sich sehr gefreut und war dann, als ichwieder abfuhr von Halle auf dem Bahnhof. In Frankfurt mußte ich noch einmal umsteigen und war um 832 Uhr in Mainz. Inzwischen waren noch 3 Junker gekommen und alle mußten auf unserer Bude schlafen. Man hat keine ruhige Zeit, um mal etwas zu schreiben usw. Die erste Komp. hatte am Donnerstag grade eine schöne Nachtübung von 32 km. Wir hatten dann Freitag mittag bei Lt. Kedor Unterricht und nicht mehr bei Lt. Bertram. Der gab uns nämlich immer schöne Arbeiten auf. Dann bekam ich am Freitag Dein schönes Schmalzpaket. Ich danke Dir, liebe Mama, vielmals dafür. Heute am Sonnabend hatten wir Schießen und am Nachmittag in Niederwallof [Niederwalluf] (alle Offiziere und Junker) eine taktische Besprechung. Wir fuhren 2te Klasse (es kostete 90 Pf.) bis Niederwallof [Niederwalluf] und der Major hielt einen Vortrag an einer Pionierbrücke. Dann gingen wir in die „Krone“, wo eine Bowle angesetzt war und um 8 Uhr fuhren wir wieder zurück. Ich habe auch einen schönen Brief bekommen von Erich und habe ihm von Niederw. [Niederwalluf] eine Karte geschickt und will ihm morgen einen Brief schreiben. Sonntag mittag will ich meinen Lebenslauf schreiben. Liebe Mama entschuldige bitte, wenn ich nicht mehr schreibe, es ist jetzt schon 12 Uhr nachts und ich bin furchtbar müde von dem Ausflug. Also liebe Mama und liebe Mädels, seid vielmals gegrüßt und geküßt von Eurem treuen Siegfried.
Grüße bitte Mutti und alle Bekannte. Nicht wahr ich schreibe bald wieder. Melanie schicke ich nächstens für ihre Sammlung 2 russische Geschosse mit.
[Seite mit Beginn des Briefes fehlt]
Wann wir das Examen machen werden, ist noch nicht bestimmt. Na ich bin ja gespannt[,] was werden soll. Wir haben bei Lt. Kedor Unterricht. Der gibt uns schweinemäßig auf zu Lernen. Wir haben Montag, Mittwoch und Freitags Unterricht. Immer ungefähr 3-5 Stunden aus dem Exerzierreglement zu lernen. Wir kommen vom Dienst ganz kaput und sollen dann zum nächsten Tag noch ochsen, nun das ist ein bischen zu viel verlangt. Außerdem kann man hier auf der Stube (wir sind jetzt hier 11 Junker) nicht lernen, es ist zuviel Radau. Heute waren wir in Kientopp. Es war der Kientop tadellos eingerichtet, aber schön gespielt[,] nun das kann ich nicht behaupten. Im Zigeunerbaron war es am Sonntag zu schön. Wir haben doch auf dem Grammophon das Stück „Ja, das Schreiben und der Lesen“, das singe ich hier jetzt immer zum Steinerweichen, bis die andern kommen und mich wegen Ruhestörung aus der Bude schmeißen und verhauen wollen.
Ich weiß nicht, ich habe heute solche große Lust zum Schreiben an Euch, Heimweh ist es nicht, denn ich fühle mich hier unter meinen Kameraden wie zu Haus, und mir ist sauwohl zu Mute. Ich schicke Dir hier ein Bild mit. Es ist leider nichts geworden. Aber ich bin zu erkennen. Ein Junker ist nicht mir drauf. Ich stehe links vorn. Ja ich will jetzt Schluß machen. Schicke mir bitte das nächste Mal etwas mehr Geld, ja, bitte, liebe Mama. Sei mir vielmals gegrüßt und geküßt von Deinem treuen Siegfried.
An Melanie werde ich morgen eine Karte schreiben, es ist jetzt schon 12 Uhr nachts.
Gute Nacht
Seid nun nochmals herzlichst gegrüßt und geküßt, und grüßt bitte die liebe Mutti und Onkel Bruno
Barbas, den 18. Sept. 1915.
Meine lieben Mama und lieben Mädels!
Sind seit gestern abend wieder in Barbas. Ach, habe ich der nacht gut geschlafen in meinem Bett. Leider habe ich gestern keine Post von Dir, liebe Mama, erhalten, dafür aber 2 Kartellzeitungen. Gestern vormittag traf ich Fähnrich Metzner, er ist gestern Offizierstellvertreter geworden; er war nur 14 Tage Fähnrich. Hoffentlich werde ich bald Fähnrich und dann so weiter. Seine Kompagnie löste uns ab.
Vorgestern abend haben wir zu abend gegessen saure Milch, das hat aber geschmeckt. Lt. Neundorf schaffte seinen Teller nicht und ich mußte ihn essen. Au backe, da habe ich aber sofort zugegriffen. Es gibt hier viel besseres Essen als im Kasino in Mainz.
2x schon hatten wir Kartoffelpuffer. Haben auch vorzüglich geschmeckt. Für uns kocht ein eingezogener Wiesbadener Koch und er versteht seine Sache. 3 Tage hintereinander hatte ich nichts zu tun. Als ich die Patrouille ging, sagte ich zum Feldwebel, so, nun mache ich aber hier nichts mehr, und ich brauchte nichts zu machen.
Gestern abend gab es beim Oberleutnant Beafsteak [Beefsteak], hat auch gut geschmeckt. Dann kam der Bataillonsadjutant und der Doktor und dann wurde Wein und Sekt getrunken. Um 12 Uhr konnte ich kaum noch die Augen aufhalten. Lt. Spieckermann war auch eingeschlafen und ehe ich mich versah[,] schlief ich und bekam eine Schachtel Streichhölzer an den Kopf. Ich wollte fort, durfte aber erst nach einer halben Stunde gehen, trotzdem ich zum Vergnügen der andern noch öfter einnickte.
In der Mühle habe ich ein französisches Buch gefunden. Précis historique de la Revolution francaise [Précis historique de la Révolution françoise]. Eine ganz alte Schwarte und stammt aus dem Jahre 1821. Ich glaube, es hat etwas Wert dieses Buch. Ihr könnt ja machen damit[,] was ihr wollt. Ich schicke es Euch, wenn wir hinter der Front sind.
Riesig gefreut habe ich mich, als Erich schrieb, er wäre vom Krankenhaus zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen, dazu noch die anhaltische Verdienstmedaille, da wird er stolz sein. Kann er auch, verdient hat er es.
Heute habe ich wieder nichts zu tun. Er ist jetzt halb acht. Eben bin ich aufgestanden.
Ich will nun schließen. Grüße bitte alle Bekannte, Mutti, Onkel Bruno und Frau Beckmann.
Mir geht es gut, dasselbe von Euch auch hoffend, grüße und küßt Euch herzlichst
Euer treuer
Siegfried.
Das sollte aber nicht kommen. Ich muß nämlich bei Licht schreiben.
Dann und Vierwinden
Den 20. Sept. 1915.
Meine liebe Mama, liebe Mädels!
Befinde mich seit heute morgen 4 Uhr hier in Quartier. Ich schlafe mit einem Untffz. Herrmann, einem Theologen, in einem breiten Bett und habe bis heute mittag 12 Uhr ausgezeichnet geschlafen.
Gestern mittag um ½ 5 Uhr wurde ich von der Wache abgelöst, für 8 Uhr war der Abmarsch bestimmt. Plötzlich bekamen wir in Barbas ein mordsmäßiges Art. Feuer, aber wir konnten in die Keller flitzen; es dauerte nicht lange, aber ab und zu kamen noch einige Salven. Um ½ 7 Uhr aßen wir bei Oberl. zum letzten Male in Barbas zu Abend. Um 8 Uhr marschierten wir ab. Durch Blamont zogen wir singend, trotzdem es jeden Abend beschossen wird, und uns die Franzosen hören konnten. Richtig auch, wir waren kaum eine viertel Stunde aus dem Ort, wunderschöne Stadt, von Hügeln umgeben, als die Franzosen wutentbrannt anfingen, schwere Granaten nach Blamont hineinzufunken. Dann kam eine wunderbare Nachtwanderung, der Mond war aufgegangen, die Sterne funkelten auch klar vom Himmel herab. Es marschierte sich so leicht, man merkte nicht den schweren Tornister, schwer war er. Und die Leute sangen so schön. Ab und zu hörte man die Art. Schießen, aber uns konnte sie nichts anhaben. Vor Rixingen [Réchicourt-le-Château] mußten wir in einem schönen Laubwald Halt machen, kein Lüftchen regte sich und es sangen die Leute wirklich schön. Es war doch ein schöner Sonntag, den ich verlebt habe. Um 1215 fuhren wir von Rixingen [Réchicourt-le-Château] bis Lützelburg [Lutzelbourg] und von dort ging es immer bergauf über Pfalzburg nach Dann ins Quartier, wo ich mich sehr wohl fühle. Schicke mir doch bitte Geld, ich bin vollständig abgebrannt. Die Adresse bleibt dieselbe.
Ich muß nun Schluß machen, eben bin ich zum Essen gerufen.
Nun, liebe Mama, jetzt sind wir hier vollkommen außer Gefahr.
Nun seid innigst gegrüßt und geküßt von
Eurem treuen
Siegfried
Speyer, den 9. Okt. 1915
Meine liebe Mama!
Du hast hoffentlich meinen Brief und meine Depesche erhalten. Ich werde jeden Tag verbunden und kann wohl bald wieder aus dem Lazarett entlassen werden. Sonst fühle ich mich ganz wohl bis auf ein bischen Magenschmerzen und Durchfall. Schicke mir doch bitte meinen Extrarock und Hose hierher. Mein Zeug wird gereinigt. Du hättest uns mal sehen sollen, wie wir aussahen, weiß wie Müllerburschen.
Gepflegt werde ich hier ausgezeichnet, würde aber natürlich gern lieber in Dessau sein. Vielleicht geht es zu machen. Wie geht es denn Mutti, hoffentlich gut.
Ich schreibe heute an meinen Feldwebel[,] daß er mir die Postsachen, Koffer und die letzte Löhnung noch schickt.
Nun liebe Mama, auf baldiges und gesundes Wiedersehen
grüßt und küßt Dich innigst
Dein treuer Siegfried.
Grüße bitte Erich, Mutti, die Mädels und alle Bekannte.
NB Ich fühle mich immer noch etwas schwach, wie du wohl auch an der Schrift merken wirst.