Erinnerungen von Max Hecker an seinen Sohn Karl Hecker

Karl Hecker wurde am 8. Mai 1898 in Weimar geboren. Seine Eltern waren der Malermeister Max Hecker und Carolin Amalie geb. Greiner. Max Hecker meldete sich, wie dem Bericht seines Vaters mit dem Titel „Ein junger Held!“ zu entnehmen ist, als 17jähriger freiwillig zum Militärdienst. Er zog dann als Soldat beim 5. Thüringischen Infanterieregiment (Großherzog von Sachsen) Nr. 94 in den Krieg ein. Er starb am 13. Dezember 1917 an den Folgen zahlreicher Verwundungen, die er durch drei Granatsplitter erlitten hatte, im Lazarett in Iseghem (Belgien).

Ein junger Held!

Väter und Söhne Seite an Seite gemeinsam im feldgrauen Rock des Vaterlandes kämpfend sind keine Seltenheit in dem größten Kriege seit Menschengedenken. –

Darf ich Euch heute von einem jungen Helden erzählen, den sein Vater fand im Gewühle des Weltkrieges[,] um ihn auf ewig zu verlieren?

Als der Vater im October 1914 zum Landsturm einberufen nach Frankreich abreiste, ahnte ihm noch nicht, daß sein Sohn einem Herzenswunsche folgend, in einer Mil. Vorbereitungsanstalt Aufnahme gefunden hatte. Es war damals 16 ½ Jahr alt. Das Militairische steckte ja schon seit der frühesten Jugend in ihm und mit froher Begeisterung hatte er sich nach er Schulentlassung dem Jungdeutschlandbunde angeschlossen. Was Wunder, wenn in dem tapferen Jungen die schwache Flamme zum lodernden Feuer verzehrender Vaterlandsliebe wurde[,] als die ersten Siege auf den Schlachtfeldern geschlagen und in der Heimat verkündet wurden. Der Vater selbst hat jener Zeit, wo sein Sohn sich mit Plänen trug[,] die ihn seinem bisherigem Wirkungskreise entreißen sollten, nicht gerade mit Wohlwollen begegnet, doch glaubte auch er bis die Ausbildungszeit vorüber sei, ist der Friede ins Land zurückgekehrt.

Es sollte anders kommen.

Im März 1915 schrieb der Jüngling, daß die Auflösung der Mil. Vorbereitungsanstalt bevorstehe und da er nun bald 17 Jahre alt würde, bedürfe es der Erlaubnis des Vaters[,] um ins Feldheer eintreten zu können. Die abratenden Briefe des Vaters hatten nur den Erfolg, den Jungen in seinem Vorsatz immer mehr zu bestärken, er bat und flehte, bis der erstere schweren Herzen Ja und Amen sagte.

Der Jüngling kam nun ins Rekrutendepot eines Regiments[,] welches aus früheren Kriegen den Beinamen „Das Eiserne“ überkommen hatte. Hier erhielt er seine militärische Ausbildung nach allen Regeln der Kunst.

Als eine Gunst des Schicksals hat es der Vater betrachtet, als er, im August vom westlichen Kriegsschauplatz nach einem Ersatztruppenteil versetzt, seinen Sohn vor dem Ausmarsch nach Rußland noch einmal in der Heimat für wenige stunden sehen durfte. Mitte August zog der Sohn gegen Rußland ins Feld, doch schon gegen Ende September folgte auch der Vater nach, um bei einem anderen Regiment an der gleichen Front Kriegsdienste zu tun. Vier lange, schwere Monate langer Erwartung gingen ins Land, ehe durch Vermittelung der Feldpost die Verbindung zwischen Vater und Sohn wieder hergestellt war und die rückliegende Zeit ihren Schleier hob, um die Erlebnisse beider kundzugeben. Der Sohn hatte mit seinem Regiment den Sturm auf Grodno am 5. September 1915 mitgemacht und kam einige tage später als Leichtverwundeter in ein Feldlazarett in Bialystok. Als das Regiment im October nach dem westlichen Kriegsschauplatz übersiedelte, war er so weit hergestellt, daß er mitkonnte.

Der Vater hatte indessen mit dem Regiment[,] bei dem er sich befand[,] schwere Tage und Stunden an der Düna erlebt und befand sich jetzt Riga gegenüber in Stellung. Der Sohn schrieb aus den Stellungen bei Reims – Noyon – , bilder- und kartenreiche Briefe, welche einen guten Einblick in das Leben und Treiben dortselbst gestatteten. Den Winter 1915/16 verblieben sie in dieser Gegend, doch Ende März kam das Regiment in die Nähe von Verdun, wo sich der furchtbare Kampf zu einem Ringen ohne Gleichen auswächst. Alle die weltbekannten Namen: Höhe 304, Bärentatze, Toter Mann, Vaux und wie sie heißen mögen sind Ruhmesblätter für die Regimenter[,] welche dort kämpften. Und an allen diesen Kämpfen nachm der Sohn teil.

Im September kam das Regiment an die Somme. Doch zuvor sah der Sohn nach fast 12monatiger Abwesenheit die Heimat wieder und schickt dem inzwischen wegen Überalterung von der Front zurückberufenen Vater Nachricht nach der nahen Garnison.

Zwei kurze Tage nur ist es Beiden vergönnt, einander sich ins Auge zu sehen, den Vater ruft der Dienst, doch die Mutter ist überglücklich, daß sie ihren braven Jungen wenigstens 14 Tage wieder hat nach so langer schwerer Zeit. Doch auch für den Sohn heißt es wieder scheiden und während er zu seinem Regiment vor Verdun reist, ist auch der Vater wieder unterwegs nach dem Besetzten Gebiet Belgiens, zu einem an der holl. Grenze liegenden Batl. Der Sohn nimmt mit dem eisernen Regiment im Gebiet der Somme an den sich mehr und mehr steigernden Angriffs- und Abwehrmaßregeln teil. Der Chef des eis. Regiments, ein deutscher Bundesfürst, überreicht den aus der Schlacht kommenden Kämpfern die Verdienstmedaille mit Schwertern und der Vater ist stolz auf seinen Sohn, daß er sie nicht blos erhalten, sondern auch verdient hat.

Im Dezember 1916, als das Regiment von der Front zurückgezogen und Ruhequartiere für einige Wochen bezogen hatte, überraschte der Sohn den Vater freudig durch seinen Besuch an der holl. Grenze. Sie benutzten die Urlaubszeit zur Besichtigung der Hauptstadt Belgiens, Brüssel, welche das Sehenswerten genug bietet. Schnell genug verging die kurze Zeit des Zusammenseins, dann reist jeder wieder zurück zu seinem Truppenteil. Der lange und diesmal auch an der Westfront sich durch grimmige Kälte sehr fühlbar machende Winter ging verhältnismäßig ruhig und ohne größere Kampfhandlungen an den Fronten hin.

Dann kam das Frühjahr 1917 und der grandiose Rückzug von Cambray [Cambrai] trat in die Erscheinung. Der Sohn war im Januar zum Gefreiten befördert worden und bei der Sturmabteilung der Division hat er bei den Sicherungstruppen jenes Schauspiel ohne Gleichen mitgemacht. Äußerst interessant und spannend sind die Feldzugsbriefe über diesen Abschnitt des Krieges an den Vater, der inzwischen mit seinem Truppenteil in den Mittelpunkt Belgiens, die Provinz Brabant übergesiedelt ist zur Sicherung der strategisch wichtigen Bahnlinien. Hocherfreut teilt der Sohn mit, daß er bei der Rückzugssicherung, nachdem die Engländer unerwartet den Reservezug überfallen und gefangen hätten, mit seinen paar Leuten entschlossen das Masch. Gewehr unter dunklen schwierigsten Verhältnissen zurückgebracht und dafür das Eis. Kreuz II. Klasse erhalten habe. Dann sahen sich Vater und Sohn nochmals für wenige Tage in der Umgebung von Brüssel in einem mitten im herrlichen Buchenwalde belegenen Quartier. Darauf reist der Sohn das letzte Mal [in] die Heimat, die Geliebte Mutter und Geschwister zu sehen in Urlaub. In dieser Zeit fielen die Würfel im Schlachtenglück nicht günstig und als er wieder zum Regiment zurückkehrte, fand er dasselbe in der Neuformierung begriffen in die Nähe Antwerpens zurückgezogen, um dann später an der Scarpe wieder in Aktion zu treten.

Noch einmal, Anfang October ist es ihnen vergönnt einige Tage beisammen zu sein, dann nahmen sie Abschied von einander ohne dem Gedanken auch nur Raum zu geben, daß es ein Abschied für die Ewigkeit sein sollte.

Das Regiment kam wieder zwischen Ypern und dem Houtholster Walde in Stellung und hier ereilte ihn sein Schicksal. Hier will ich wörtlich den Bericht aus dem Briefe eines Kameraden wiedergeben:

„Da kam der 1. Dez.[,] der Tag[,] an dem wir uns das letzte Mal sehen sollten. Es war in Flandern und in Roulers lagen wir in Ruhe. Von hier aus rückte die Komp. noch Abends in Stellung. Karl war in Ordonnanz beim Komp.Führer. Ohne Verluste kam die Komp. vorn an, wo sie in vorderster Linie südlich Westroosebeeke [Westrozebeke] eingesetzt wurde. Am Morgen des 2. Dez. 300 setzte schlagartiges Trommelfeuer ein und gleich hinter den Feuerwellen kam der Engländer auf breiter Front und in starken Kolonnen.

In diese hinein feuerten unsre Masch.Gewehre mit mörderischer Wirkung. Den Engländern blieben jedoch Kräfte genug, um unsere Vorfeldlinien zurückzudrängen. Auch in Richtung K.T.K.[,] wo sich Karl befand, gingen die Engländern stark vor. Nachts davon bildete sich ein Engländernest. Der Angriff kam durch das Feuer unserer Gewehre zum Stehen, und am selben Tage noch wurde der Engländer restlos aus unsern Linien herausgeworfen. Im Laufe des Nachmittags kam dann die Meldung[,] daß Karl in der Nähe des K.T.K. von drei Granatsplittern schwer verwundet liege. Wir hatten bis dorthin Munition zu fahren, es wurde noch ein Uffz. Und drei Mann mitgenommen, welche Karl zurückbringen sollten. Sie kamen aber wieder zurück und berichteten, ihn nicht gefunden zu haben, da wird er wohl von der Sanitätskomp. aufgefunden und geborgen worden sein.

– – – – – – – –

Am 16. Dez. erhielt der Vater den Brief einer Krankenschwester, worin ihm dieselbe Namens seines Sohnes mitteilte, daß er mit Arm- und Körperverletzungen sowie leichtem Lungenschuß am 5. Dez. 1017 in das Feldlazarett 112 eingeliefert sei, sich den Umständen nach leidlich wohl befinde und um den Besuch des Vaters bittet.

Mit einem dankerfüllten Blick zum Himmel, daß nun endlich sein geliebter Sohn dem Schlachtgetümmel entrissen, giebt sich der Vater der Hoffnung hin, um die Weihnachtszeit seinen tapferen Jungen aufzusuchen.

Das das Schicksal hat es anders bestimmt, als er den Brief der Schwester erhielt[,] hatte sein Sohn, sein guter Kamerad schon seit drei Tagen die Augen für immer geschlossen und ein treues Herz aufgehört zu schlagen.

Da erschien auch ihm das Licht der Sonne verdunkelt und schwere Wolkenschatten zogen über seinen Weg.

Als dann durch den Kriegslärm der Welt die heilige Weihnachtszeit schritt, da stand er tiefbetrübt an einem Grabe im fernen Flandern, das die sterbliche Hülle seines geliebten Sohnes und Kameraden barg.

„So finden wir uns wieder mein treuer braver Sohn; du hast dein Herzblut für deine deutschen Brüder dahingegeben, wie so mancher Tapfere. Nun ruhe in Frieden in Gottes Erde, sie ist ja überall des Herrn!“ – –

Die tränenschweren Augen des Vaters gleiten über die nächste Umgebung, aus der im glitzernden Schnee ein Wald von Kreuzen herausgewachsen scheint.

Mehr denn 3000 gefallene Helden schlummern hier der Ewigkeit entgegen auf diesem erst vor wenigen Monaten angelegten Ehrenfriedhofe. Treue Menschen, welche ihr Herzblut hergaben für die Bestie Krieg. Und während der Vater sinnend der Tapferen gedenkt, die hier ihre letzte Ruhestätte fanden, bereitet nun etwas weiter oben das Begräbnis von 5 Minenwerfern vor. Die Komp. hat ihre gefallenen Kameraden aus der Stellung mitgebracht[,] um sie der Erde zu übergeben.

Wie feierlich geht solch ein mil. Begräbnis vor sich und doch wie tief bohrt sich der Schmerz[,] als die Musikkapelle das Trostlied: befiehl du deine Wege. – intoniert, der ganze Jammer über den unersetzlichen Verlust bricht mit elementarer Gewalt hervor. Es ist ja so unendlich schwer, etwas Liebes auf Erden hergeben zu müssen, doppelt schwer fühlt man das Weh um die liebe Weihnachtszeit.

Die Komp. hat ihre 5 Kameraden dem kühlen Schloß der Erde übergeben, der evangelische und der katholische Feldpropst haben in ihren zu Herzen gehenden Ansprachen hervorgehoben, daß die gefallenen Kameraden ihr Leben ließen für die Brüder. Sie haben ein Opfer gebracht für uns und sind ein Opfer geworden für die Blutschuld der ganzen Welt.

Und dann trafen die Klänge des ergreifenden Soldatenliedes das Ohr des Mannes: „Ich hatt´ eine Kameraden, einen bessern findst du nit“ –

Ja er hatte seine besten Kameraden verloren und nie mehr werden sie sich ins Auge schauen können.

Oben in den Lüften ziehen drei deutsche Flugzeuge ihre Bahn und die Ruhe und Sicherheit, mit der sie den Luftraum durchsegeln, giebt auch dem Vater wieder Mut, sich in der Gegenwart zu recht zu finden.

Ein Kamerad war ihm behilflich, die letzte Liebesgabe an seinen Sohn, ein Kreuz, auf dem Grabe aufzustellen. Auf dasselbe hat er den Text mit wehmütiger Andacht geschrieben

„Hier ruht in Gottes Erde der

Gefreite Karl Hecker

  1. Masch. Gew. Komp.
  2. Thür. Inf. Regiment (Großherzog von Sachsen) Nr. 94

geb. 8. Mai 1898

zu Weimar

erlag seinen Wunden

am 13. Dez. 1917

zu Iseghem [Izegem] i Flandern.

und darunter:

Mein Sohn!

Du fielst in der Schlacht.

In der Jugend Reinheit und Pracht.

In Flandern brach dein treues Herz

Und ließ uns zurück in Leid u. Schmerz.

Zu früh´ starbst du.

Doch bleibt dein Gedächtnis

Für uns auf ewig ein heilig Vermächtnis!

– – – – – – – Und der junge Held[,] von dem ich Euch hier erzählt habe, das war mein Sohn. – – –

Max Hecker

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