Kriegserinnerungen von Ewald Lochte (Oktober 1914 bis Juli 1916)

Ewald Lochte stammt aus Wolfenbüttel. Er verstarb im Juni 1965 im Alter von 79 Jahren. Er war mit Mally Lochte, geb. Römer verheiratet.

In dem kleinen Büchlein hat Lochte seine Erinnerungen an den 1. Weltkrieg eingetragen, jedoch hat er diese nie fertiggestellt. So gibt es zwar eine Seite betitelt „Meine Erinnerungen aus der Mobimachungszeit 1914. August – September in Wolfenbüttel“, aber die folgenden Seiten sind leer.

Seine Aufzeichnungen beginnen im Oktober 1914 mit seiner Zeit als freiwilliger Militärkrankenwärter in den Reserve-Lazaretten Wolfenbüttel und Helmstedt. In diesem Abschnitt sind lokalhistorische interessante Informationen zu diesen Reservelazaretten zu finden.

Von Januar bis April 1916 wurde Lochte beim Ersatzbataillon Reserve-Infanterie-Regiment 73 in Hannover zum Soldaten ausgebildet. Im Februar 1916 bat Lochte seinen Freund, den Kompagnieführer Leutnant Oppermann um Versetzung zur 19. Reserve-Division an die Front bei Verdun, was auch tatsächlich gestattet wurde. Am 2. Mai 1916 wurde er auf dem Bahnhof Hannover verladen und kam nach Frankreich in den Raum Verdun.

Lochte berichtet ausführlich über seine Einsatz und die von ihm erlebten Abenteuer während der Kämpfe bei Verdun.

Ende Juni wurde Lochte dann in die Argonnen verlegt. Am 30. Juni 1916 endet das Kriegstagebuch. Die restlichen Seiten sind leer.

Die leeren Stellen im Originaltagebuch werden unterstrichen wiedergegeben. Ergänzungen von mir werden mit eckigen Klammern kenntlich gemacht.

Einband des Kriegstagebuches von Ewald Lochte aus Wolfenbüttel

Kriegserinnerungen von Ewald Lochte aus Wolfenbüttel (Oktober 1914 bis Juni 1916)

Meine Erinnerungen aus der Zeit als freiwilliger Militair-Kranken-Wärter in den Reserve-Lazaretten Wolfenbüttel und Helmstedt

1. Oktober.

Morgens 7 Uhr Abfahrt zum Bezirks-Kommando II. Braunschweig. Mittags Abfahrt nach Helmstedt mit noch ca. 12 Mann, größtenteils Lehrer und Pastöre, die sich auch zum Sanitätsdienst freiwillig gemeldet hatten, nach dem Res. Lazarett in Helmstedt.

Dort gegen 4 Uhr nachmittags angekommen. Löhnungsempfang, Essen (Gänsebraten.)

2. Oktbr.

Morgens 7 Uhr zum Einkleiden nach Braunschweig, erhalten blaue Uniformen. 92er Nachm. Abfahrt nach Helmstedt ins Res-Laz. „Petzolds-Hotel“ als Mil. Krankenwärter.

3. Oktbr.

Als Krankenwärter. Arbeitsdienst: Reinigen der Zimmer, Aufwaschen der Fußböden usw. Verwundete sind zur Zeit nicht im Lazarett,

4.-30. Oktbr.

Dienst der übliche. Nachm. Üben im Krankendienst u. Ausbildung im militärischen Benehmen, Grüßen lernen u.s.w.

1.-15. Novbr.

Morgens Beschäftigung auf der Schreibstube des Lazaretts. Am 4. d. Mts. erhalten wir im Laz. Verwundete aus d. Kämpfen um Dixmuiden, Ypern.

11.-21. Novbr.

Beschäftigung wie sonst.

22.-3. Dezbr.

Wegen Erkrankung meines Schwagers nach Wolfenbüttel, welcher am 30. Novbr. morgens verstarb.

Am 3. Dezbr. Beerdigung dortselbst.

4.-20. Dezbr.

Beschäftigung wie sonst. Meine Schwester schreibt ein Gesuch um Versetzung in der Res. Laz. Wolfenbüttel.

21. Dezbr.

Abfahrt zum Res.-Laz. Wolfenbüttel morgen 8 Uhr Ankunft dortselbst gegen ½ 1 Uhr mittags. Gemeldet b. Ober-Inspektor Stellv. Wendroth. Einstellung ins Laz. Antoinettenruh (Laz. Insp. Wallbaum).

23. Dezbr.

Beschäftigung: Morgens 7 Uhr aufstehen, bis 9 Uhr reinige d. gr. Saales, in denen ca. 120 Verwundete untergebracht sind. Ich werde zum Geschäftszimmer d. Lazarettes gerufen und erhalte die Verwaltung der Wäschekammer sämtl. Lazarette (Sternhaus, Antoinettenruh, Genesungsheim) durch Laz.-Inspektor Bock. Übernahme d. Wäschekammer. (Untffz. Habekost).

24. Dezbr.

Heiligabend. Gegen 7 Uhr abds. Feier der Verwundeten im gr. Saale durch den Lazarettgeistlichen. Die Verwundeten sowie wir Kranken-Wärter erhalten Geschenke vom Frauen-Verein Wolfenbüttel in Gestalt von Nähzeug[,] Tabak, Cigarren, Cigarette, kurze Pfeife, Lesebücher[,] Bleisift, Wall-+Haselnüsse, Honig-Kuchen.

25. Dezbr.

Morgens 9 Uhr: Andacht durch den Lazarett-Geistlichen. Mittags Fest-Essen (Kranken-Wärter d. Lazaretts: Antoinettenruh

Bockelmann

Lönneckre

Bank

Greinert

Rollwage

Bätge

Bothe

Dietrichs

Lochte.

Sanitäts-Untffz.+Mannschaften

Utffz Rost.

25.-31. Dezbr.

Die übliche Beschäftigung

Am 31. abends 8 Uhr Beginn der Sylvesterfeier mit Punsch + Glühwein bis ½ 1 Uhr nachts.

Neujahrsfeier durch den Lazar.-Geistlichen.

2.-6. Januar.

Urlaub.

7.-31. Januar.

Beschäftigung: Reinigen des gr. Sales morgens, um 10 Uhr Visite des Sanitätsrates Dr. Kirchberg. 12 Uhr: Essen tragen. Krankenwärter essen in der Küche der Frau Beilicke. Darnach bis gegen 3 Uhr Mittagspause. Dann Kaffeetrincken um 3 Uhr, um 6 Uhr abends: Essen, um 9 Uhr Zapfenstreich. Ich schlafe rechts der Bühne über der Herrentoilette mit noch 4 Kameraden näml. Bockelmann, Greinert, Bäthge, Rollwage.

Februar:

Am 8. Februar werde ich auf Wunsch d. Insp. Bock zum Lazarett Genesungsheim versetzt. Meine Beschäftigung ist dort Morgens: Reinigen der mittleren Station, darnach Dienst auf der Wäschekammer, Mittags Essentragen + Essen, darnach Mittagspause, um 3 Uhr nachmittags Kaffeetrinken, um 6 Uhr abds. Abendessen, 9 Uhr Zapfenstreich.

Mil. Kr. Wärter d. Genesungsheims

Jürgensmeier (Bega/Lippe)

Illemann (Braunschweig)

Kassebaum (Langelsheim)

Bock (Hannover)

Schöneborn (Hannover)

Diestel (Osterlinde)

Geifrig (Holzminden)

Lambrecht (Lutter a/Bbge)

Alle Woche für Reinigen bezw. Wachen der Wäsche sorgen. Das Wachen + Desinfizieren wird im Städt. Krankenhause besorgt. Gespanne zum Fortschaffen stellen uns die Wolfenbüttler Gärtner freiwillig (Asmuss, Beddig, Oppermann)

März – Mai 1915

Die übl. Beschäftigung. Einige Verwundeten-Transporte kommen an.

Juli – September 1915

Die übl. Beschäftigung. Im August (8.) Überführung eines Schwerkranken nach dem Krankenhause Britz b/Berlin.

Oktober – Dezbr. 1915

Die übl. Beschäftigung. Bei Löhnungsappells helfe ich dem Insp. Bock beim Auszahlen des Geldes. Die Station Genesungsheim wird seit August Station für Lungenkranke. Nacht- und Tagwacht müssen gestellt werden. Ich bekomme die mittl. Station, in der Schwerkranke untergebracht sind. Zimmer 5 sogen. Sterbezimmer. Unter andern (3 Schwerkranke: Lungentuberkulose) auch einen Kanonier Schumacher. Vom Beruf Schmied, zuletzt Portier in Berlin, der im Felde an Lungenentzündung schwer erkrankte. Sch. War einer meiner besten + zufriedensten Kranken, ein Mann[,] der sein Loos mit Geduld ertrug. Obwohl er genau wußte, dass sein Leiden unheilbar war, war er bis zum letzten Augenblick heiterer Laune. Er bekam fast tägl. Mehrere Blutstürtze, die ihn sehr schwächten. Seines ausgezeichneten Körperbaues wegen, (seiner Kräfte) ist es auch zuzuschreiben, das er noch längere Zeit leben durfte wie andere Kameraden gleicher Krankheit. Er starb am ___. Novbr. Morgens 8 Uhr. Die letzten Nächte durfte ich auf Befehl des ordin. Arztes Sanitätsrats Dr. Engelbrecht nicht mehr bei ihm verbringen, da ich zu abgespannt durch die Pflege geworden war. Noch gegen Mittag verlangte er, mich zu sprechen, war aber leider nicht im Lazarett. Ich kam gerade, als er seinen letzten Atemzug tat. Einige Tage später wurde er auf dem Friedhof Wolfenbüttel mit milit. Ehren beigesetzt. Als letztes Liebeszeichen bette ich seinen Leichnam in Blumen ein. So starb in aller Ruhe ein Held, dessen guten Karakter ich stet im Gedächtnis behalten werde. Er stand im Alter von 28 Jahren kurtz ca. 14 Tage vorher besuchte ihn noch aus Rostock sein alter 83jähriger Vater, der ihn thränenden Auges wieder verliess.

Während meines Aufenthalts starben noch 4 Kameraden dort an Lungen- + Darmtuberkulose. Etwas Schlimmeres giebt es wohl kaum, als Schwindsüchtige sterben zu sehen.

Unter den Lungenkranken (Trempler m/Namen) befand sich auch ein Nervenkranker (Simulant), der es ausgezeichnet verstand, die Gebährden eines Kranken nachzuahmen. Trotz des Verstellens wurde er durch sorgfältige Beobachtung überführt und zur Bestrafung seinem Truppenteil überwiesen. Er ahmte Nervenzucken nach. Durch abwechselnde warme + kalte Wasserüberschüttungen wurde er nach einigen Tagen zusehends besser, konnte ohne fremde Hilfe gehen[,] essen u.s.w. Aufmerksam sind wir auf diesen erst durch Schuhmacher gemacht, der einige Zeit mit ihm zusammen auf einem Zimmer lag.

Am 24. + 25. Dezbr. Weihnachtsfeier.

Am 31. Dezbr. Silvesterfeier im Genesungsheim.

Am 17. Novbr. Wurde ich z. Gefreiten ernannt.

1.-9. Januar 1916

Dienst wie sonst.

Auf mein Gesuch an das stellv. Sanitsamt in Hannover erde ich zwecks Ausbildung im Dienst m. d. Waffe dem Ers. Batl. Res. Inf. Regt. 73, Hannover überwiesen.

 

Meine Ausbildungs-Zeit in Hannover beim Ers.-Batl. Res. Inft. Rgt. 73

Januar 1916 – April 1916

Am 10. Januar 1916 wurde ich zwecks Ausbildung im Dienst mit der Waffe auf mein Gesuch hin dem Ers.-Batl. Res.-Inft.-Regt. 73, Hannover, Kestnerschule, überwiesen.

Ich wurde zunächst dem Rekruten-Depot zugeteilt.

Fhrer: Oberltnt. Wolter

Kmpg. Feldwb. Haller.

Wohnung hatte ich in der Stadtstrasse ___, blieb jedoch nur 8 Tage dort, um nach Annenstr. 9I b. Frau Voges zu ziehen.

Grund des Fortzuges: Bei mir wohnte ein Ldstm. Tangermann, durch dessen unaufhörliches Schnarchen ich ständig in meiner Nachtruhe gestört wurde.

Während meiner 4 wöchentl. Ausbildungszeit im Rekr.-Depot lernte ich all den nötigen Schliff unter meinem Korporalschaftsführer Utffz. Schwabe Hannover.

Mitte Februar wurde ich zur 4. Kompagnie versetzt.

Komp.-Führer : Hptm. Geitmann.

Komp.-Feldw: Frie

Zugführer: Fldwb.-Ltnt: Schleusener und Ltnt Döscher.

Unsere Übungen, größtenteils auf der Gr. Bult abgehalten, bestand in Schwärmbewegungen, Schützen-Ausbildung, Vorpostenaufstellung, Exerzieren, Zielen, Fechten, Handgranatenwerfen, Schützengrabenbau, Schießen u.s.w.

Der Schießstand befand sich auf der Kl. Bult, hinter der Stadthalle und neben d. Zooligischen Garten.

Gruppen- + Zugschießen wurden in Kaltenweide abgehalten.

Im Februar schrieb ich an meinen Freund Kompagnieführer Ltnt. Oppermann aus Wolfenbüttel, der seit Beginn des Krieges im Felde seht und die 4. Komp. Res. Inft. Regt. 73 führte um Versetzung zur 10. Res.-Division.

Durch seine Vermittlung werde ich zum Battl.-Adjutanten unseres Ers.-Battl. Gerufen, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich beim nächsten Transport zur 4. Komp. Ins Feld versetzt würde. Am 1. Ostertage 1916, als ich von Wache am Döhrener Munitionslager kam, erhielt ich 4 Tage Heimaturlaub. Nach Ablauf des Urlaubs meldete ich mich zurück. An diesem Morgen (27. April) haten wir Schießen mit russischen Gewehren auf der Kl. Bult. Hier wurde mir vom Htpm. Geitmann mitgeteilt, dass ich voraussichtl. am 2. Mai ins Feld käme. Auf dem Wege zur Kestnerschule erhielt ich von einer Ordonanz d. Btls.-Geschäftszimmers den Befehl, mich sofort beim Btls.-Adjutanten zu melden, woselbst mir gesagt wurde, dass ein Transport Spielleute am 2. Mail z. Regiment abtransportiert würde. Ich fuhr dann sofort mittags wieder auf Urlaub in die Heimat bis Sonntag, den 30. April.

Am Montag den 1. Mai wurde ich eingekleidet u. am 2. Mai morgens 8.55 Uhr wurden wir auf dem Haupt-Bahnhof Hannover verladen.

Während meiner Ausbildungszeit wohnte mit mir zusammen ein Kamerad[,] welcher ca. 8 Tage vor Ostern zum Rekr.-Depot der 19. Res.-Division in Marville versetzt wurde. H. war ein netter Kamerad, mit dem ich manche fidele Stunden verlebte u. häufig draußen im Felde getroffen habe. Er fiel in den Kämpfen an der Somme durch Granatvolltreffer am ____. Oktober 1916. H. war in der 5ten Kompagnie.

Meine Erlebnisse im Felde Mai – Juli 1916

I. Verdun

II. Argonnen

2. Mai 1916.

Morgens 7.30 Uhr Antreten in der Kestnerschule z. Abtransport ins Feld 13 Tamboure, 2 Hornisten, 2 Vizefeldwebel (Gronau + Wilhelmi) und ich, als einziger mit Gewehr. Um 8 Uhr Abmarsch vom Schulhof durch die Lavesstraße zum Bahnhof. Tamboure spielen fröhliche Weisen, alle mit Blumen beschmückt.

Um 8.55 Uhr Abfahrt über Wunstorf Cöln nach Trier. Beim Passieren der Rheinbrücke b. Cöln bläst der Hornist Opel das Lied des Trompeters von Säckingen: „Behüt Dich Gott, es wär so schon gewesen“.

Ankunft in Cöln gegen 3 Uhr nachm. Dort einige Stunden Aufenthalt, dann weiter nach Trier. Ankunft dort gegen 12 Uhr nachts. In Artilleriekaserne dicht am Bahnhof übernachtet.

3. Mai

Abfahrt von Trier morgens 5 Uhr über Wasserbillig, Grevenmacher nach Luxemburg, dann weiter über Autel (Belgien) nach Arlon. Vo[n] dort, wo man schon Kanonendonner hört, mittags 1 Uhr wieder über Autel nach Longwy Ankunft gegen 4 Uhr nachm. Nach einigen Stunden Besichtigung der Stadt Longwy-Bas u. Longwy-Haut (Festungswerke durch den Kronprinzen eingenommen, Bahnhofsgebäude zerstört, Eisenwerk) weiterfahrt nach Longuyon. Stadt vollständig zu Anfang des Krieges zerstört, Häuser vernichtet. Wir haben hier wieder Aufenthalt u. besichtigen die Stadt. Gegen 8 Uhr abds. weiter nach Montmedy. Hier angekommen marschieren wir unter dem Klang der Trommeln u. Pfeifen in Montmedy ein. Wie werden hier durch die Ortskommandantur verpflegt. Inzwischen ist es dunkel geworden u. beziehen Unterkunft in einem ehemaligen Kuhstall unterhalb der Festungswerke, die oben auf einem Berge liegen, durch unsere 42er zerstört. Der Kommandant der Festungswerke erschoss sich bei Übergabe der Festung. Nach ziemlich schlafloser Nacht (unaufhörlicher Geschützdonner von Verdun her) brechen wir von hier auf u. gehen in die Stadt. Auf dem Marktplatz Autos u. starker Verkehr.

4. Mai

Vom Marktplatz aus zum Bahnhof. Hier wird bis zur Abfahrt des Zuges mittags 12 Uhr gelagert. Man hört das Brüllen der Geschütze schon deutlicher. Es ist ziemlich heiß. Um 12 Uhr Abfahrt mit einer Kleinbahn weiter im Tal Richtung Verdun. Unterhalb der Stadt Montmedy ein Flugzeugpark.

Stationen der Kleinbahn: Montmedy [Montmédy], Juvigny, Remoiville, Jametz, Peuvillers, Damvillers, Wavrille, Gibercy, Ville devant Chaumont, Romagne s. l. Côtes.

Um 3 Uhr nachm. Ankunft im Viller Wald. Dort wird abgestiegen. Der Wald durch schwere feindl. Artillerie stark beschossen. In der Luft Fliegerkämpfe. Wir fahren mit einer Benzolbahn weiter nach Romagne sur les Côtes (Im Viller-Wald sehe ich den ersten 42er). Um 4 Uhr kommen wir dort an. Als ersten Bekannten treffe ich einen Trainsoldaten, Thoreu aus Wolfenbüttel. Nach einer Stunde Ruhe brechen wir wieder auf u. marschieren über einigen Berge nach Chaumont z. Standort uns. Batl. Ich melde mich in der Schreibstube des Bataillons. Anfangs sollte ich einer anderen Kompagnie zugeteilt werden, auf meinen Protest hin, ich sei für die 4. Komp. bestimmt, antwortete mir, bezw. Fragt mich der Offizier, aus welchem Grunde ich gerade zur 4. wolle, worauf ich erwiderte, ich wäre ein Freund von Ltnt. Oppermann, und auch aus Wolfenbüttel, Herr Ltnt. O. hätte auch deswegen an der Ers.-Batl. Geschrieben. „Der Offizier antwortete mir: Komisch, alle Wolfenbüttler wollen in die 4. Komp. Machen Sie, das Sie dorthin kommen. Kehrtwendung und schon war ich fort. Ich meldete mich darauf in der Schreibstube der 4. Komp., welche im ersten Hause rechts an der Straße Ville-Chaumont ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Feldwebel Gohl nahm mir meine Papiere (Soldbuch u. Pass) + die Erkennungsmarke an. Ich bezog Quartier in demselben Hause, über der Schreibstube, fand dort mehrere Kameraden vor u. richtete mich häuslich ein. Hier erfuhr ich auch, dass die 4. Komp. Heute Nacht aus Stellung käme. Von der Reise müde u. abgespannt, begab ich mich etwa gegen 10 Uhr, nach noch einem kleinen Spaziergang durch das kl. U. zerschossene Dorf. (In der Schreibstube war auch der Untffz. Tarvernier anwesend, nichts ahnend, dass ich später in seine Korporalschaft kommen sollte.) Mein Bett bestand aus einem Holzwollsack, der auf dem dünnen Fußboden ausgebreitet war, als Kopfkissen mein Tornister.

Vergeblich suchte ich einzuschlafen, das unaufhörliche Schießen, vielmehr das Platzen der schweren Geschosse vor dem Dorfe liess mir nicht Ruhe; die noch wenigen vorhandenen Fensterscheiben klirrten fortwährend. Anfangs hatte ich angenommen, es seien Abschüsse unserer Geschütze, nachdem ich aber nach einigen Stunden mich erhob, wurde ich gewahr, dass der furchtbare Krach jedesmal ein Einschlag feindlicher Geschosse war, die um Ville herum platzten.

Das Dorf Ville, das in einem Tale lag[,] war auch gänzlich zerschossen, ebenso wie Chaumont. So verbrachte ich wiederum auch diese Nacht schlaflos.

Nach einigen ungeduldigen und ruhelos verbrachten Stunden hörte ich draußen gegen 4 Uhr morgens menschliche Stimmen. Ich erhob mich von meinem Lager und wanderte hinaus. Blutrot war der Himmel von dem unaufhörlichen Aufblitzen der Geschütze schwersten Kalibers, dazwischen sah man hellaufleuchtende Stellen, das waren Leuchtkugeln, die weithin das Gelände erhellten.

5. Mai

In diesen schaurig schönen, so viel Tod u. Verderben stiftenden Anblick, mischte sich das Rufen + Schimpfen der Munitions-Kolonnen, das Rasseln der Munitionswagen und das Stampfen u. Schnauben der Rosse, die bei den aufgeweichten Straßen wahrlich Schweres zu leisten hatten (einige Tage vorher hatte es stark geregnet). Gegen 5 Uhr morgens kam nun ein Teil der 4. Komp. vor der Schreibstube an. Ich suchte in der Dunkelheit Leutnant Oppermann, konnte ihn aber nicht finden. Ich frug nach Untffz. Cohn, auch ein Wolfenbüttler u. Mitglied d. Verbandes ehem. Realschüler zu Wolfenbüttel u. fand ihn vor der Feldküche sitzend, gegen wie Wand des Hauses gelehnt. Nach herzlichem Begrüßen bot ich ihm von meinen heimatlichen und mitgebrachten Lebensmitteln, wie Knackwurst, Mettwurst, Käse u.s.w. an, er wollte aber nichts weiter vor Ermattung als nur condens. Milch u. Zucker. Ich gab es ihm gern. Nach etwa einer halben Stunde wurde mir von einem Kameraden mitgeteilt, Ltnt. Oppermann sei in der Schreibstub. Ich stellte mich darauf vor den Hauseingang u. wartete auf sein Erscheinen. Es dauert auch nicht lange, so trat er heraus u. ich meldete: „Gef. Lochte vom Ers.-Batl. Res. Inf. Regt. 73 zur…“ Weiter lies er mich nicht kommen u. unterbrach mich. „Du S…….f, weshalb kommst Du gerade in diese Schweinerei nach hier?“ Ich antworte ihm darauf, wie es gekommen sei.

Als ich so mit ihm zusammen plauderte einen herzl. Gruss von seinen Eltern u. ihm mitteilte, dass ich ein Paket mit Sülze, Zwiebeln[,] Essig usw. (sein Lieblingsessen) von seinen Eltern mitgebracht hätte, bemerkte ich bei Morgendämmern erst, wie dreckig u. leidend er aussah. Das Eiserne Kreuz I. Klasse war fast nicht vor Dreck u. Schmutz zu erkennen.  Ich sagte ihm: er sähe in seinem angehenden Spitzbart aus wie das Leiden Christi selbst. Dann bat er mich, ihm am anderen Morgen gegen 11 Uhr zu besuchen, der habe um die Zeit sich etwas von der Strapazen erholt u. ich möchte ihm weiter von seinen Eltern daheim erzählen. Er ging fort u. ich begleitete ihn noch ein Stückchen mit. Dann verabschiedeten wir uns u. ich suchte Utffz. Cohn wieder auf, der inzwischen seinen stärkenden Kaffee eingenommen hatte. Mittlerweile war es hell geworden, die Sonne stieg am Horizont mehr u. mehr empor. Ich schritt zu dem vor dem Dorfe liegenden Wiesen, um meine Morgentoilette zu beginne. Als Waschgefäß benutzte ich eine leere Dose von Bismarck-Heringen, die mir von einem Kameraden angewiesen wurde und ihre Platz unter einem Stege hatte. Wasser schöpfe ich aus dem nahen Bache, obwohl wenig sauber, hatte es doch eine erfrischende Wirkung. Auf der Wiese tummelten sich die Rosse der Artillerie u. der Munitionskolonnen im Schein der Sonne, am Himmel sah man Flieger, die zur Abwehr feindlicher Flugzeuge u. zu Erkundigungen aufgestiegen waren. Den Vormittag hielt ich mich auf der Wiese auf u. sah dem Leben u. Treiben hinter der Front zu. Mittags 1 Uhr holte ich mir mit meinen übrigen Kameraden aus unserer Gulasch-Kanone Essen u. darnach ging ich fort Ltnt. Oppermann aufzusuchen. Er hatte sein Heim auf dem Berge bei Chaumont in der Holzbaracke. Ich ging die Dorfstrasse entlang, die Anhöhe hinauf. Über einige ehemalige Schützengräben u. zerstörte Drahthindernisse hinweg erreichte ich die Spitze des Berges. Ich sah mich um und hatte vor mit eine herrl. Aussicht. Zu meinen Füßen das kleine Chaumont, weiterhin das zerschossene Ville, rechts von den Höhen der Côtes Lorraine das Dorf Flabas. Links das Kap der Guten Hoffnung, mit dem Bahnhof unserer Feldbahn, Azannes, Gremilly, u. noch andere Ortschaften[,] Fesselballons, sowohl unsere wie auch feindliche sanden am Himmel, um Beobachtungen über die Wirkung der Artillerie zu machen.

Auf den vor mir liegenden Höhenzüge, im Wavrille Wäldchen, im Herbebois u. Soumazannes konnte man deutlich das Einschlagen feindl. schwerer Granaten (Kal. 28) sehen, erst der weiten Entfernung wegen das Aufspritzen der Erde, Steine u.s.w. u. dicht hinterher das unheimliche Sausen u. den furchtbaren Krach. So ging es den ganzen Tag. Ich wendete mich wieder um und kam an ein kl. Buschwerk vorbei, das auch von Schützen+ + Laufgräben durchwühlt war, jenseits zu den ehem. Stellungen unserer Artillerie. Diese Stellungen waren aus Beton hergestellt und zogen sich die ganze Höhe entlang. In ungefähr 150 m dahinter waren Holzbaracken aufgestellt, in denen z. Zt. neue Truppen aus dem Rekr.-Depot der 19. Res.-Division Unterkunft gefunden hatten. Ich schritt hinzu u. hörte plötzlich einen Knall und gleichzeitig einen Schrei. Vor mir stand ein jüngerer Kamerad vom Res.-Regt. 78, der eine Sprengkapsel einer Handgranate gefunden hatte und nichts ahnend damit gespielt. Sie entzündete sich u. riss ihm die Fingerspitzen der linken Hand ab, ein Sprengstück traf noch einen anderen Kameraden unterhalb des rechten Auges. Ich verband beide und lieferte den ersteren Kameraden an einen Feldwebel ab, der ihn halb ohnmächtig zur Komp. brachte.

Inzwischen hatte sich eine ziemliche Menschenmenge angesammelt, darunter befanden sich auch einige Kameraden von Hannover her (Warsen, Hillemann + Hartmann), die sich natürlich sehr wunderten, mich hier im Felde zu treffen. Meinten sie doch, ich sei noch in Hannover. Nach erzählen ihrer Erlebnisse beim Rekr.-Depot, von einem Fliegerangriff in Marville, versprach ich Ihnen, sie mal wieder aufzusuchen[.] Darauf verabschiedete ich mich von Ihnen und traf nach einiger Zeit meinen Freund Ltnt. Oppermann, auf einer Decke liegend, sich im Sonnenschein von dem 18tägigen Aufenthalt in der Kampffront ausruhend. Er begrüßte mich herzlichst und ich musste ihm von Haus berichten. Gleichzeitig überreichte ich ihm sein Paket mit Sülze u.s.w., er verspürte jedoch wenig Apetit, da er über seinen Magen, wie auch über große Ermattung klagte. Neben ihm lag noch ein Vizefeldwebel. Er stellte sich mit vor als Uzfldw. Tepe, den ich von Ansehen bereits von Hannover her kannte und als Zugführer in der 4. Komp. gewesen war. Ebenso lernte ich noch Ltnt. Spitzbarth kennen. Nach einigen Stunden Unterhaltung bei einer Flasche hellen Bieres tranken wir vor seiner Behausung Kaffee, den uns seine Ordonanz, namens Mögenburg, servierte. Bis gegen 6 Uhr blieb ich bei Ltnt. Oppermann u. ging mit ihm zum Geschäftszimmer der 4. Komp. Es fand dann Befehlsausgabe statt. Dienst wurde für den folgenden Tag nicht angesetzt, da alle zu ermüdet waren. Nach Beendigung der Parole, wurde und neuer Ersatz zugeteilt, unterwiesen auch die 3 Kameraden Hillemann, Warsen + Hartmann, Hillemann + Warsen kamen in meine, 5. Korporalschaft (Korporalschaftsführer: Utffz. Tavernier). Ich traf an dem Abend auch noch einen ehema. Hannoveraner, den Wehrmann Dura (auch 5. Korporal)

Mannschaft der 5. Korporalschaft: 4/R. 73

Utffz: Tavernier (Hannover)

Gefr. Koch

Gef. Lochte (Wolfenbüttel)

Wehrm. Dura

Res. Müller

 

Als neues Quartier erhielten wir eine Scheune an der Dorfstr., wie an der Kirche vorbei, nach Gibercy führend. Abendportionen wurden empfangen, bestehend aus Feigenmarmelade und einer Art Mettwurst, sogen. Gummiwurst (wegen ihrer Zähigkeit). Alle 2 Tage empfingen wir Kommisbrot 1 ½ Pf. schwer.

Die Nacht über schlief ich schon etwas besser. Ich wachte verschiedentlich auf durch ein Zucken am ganzen Körper. Die Läuse, die es dort draußen gab, machten sich bemerkbar. Auch durch den anhaltenden Geschützdonner aufmerksam gemacht, eilte ich hinaus. Wiederum war der Himmel hell erleuchtet durch das Aufblitzen der Geschütze, wie auch durch Leuchtkugeln + Leuchtsignale. Schwere Geschosse fielen in den vorunsliegenden nahen Viller Wald und auf die Straße Ville-Azannes. Im Viller Wald bei Azannes + Flabas standan unsere schweren Geschütze, die 42er Mörser, im Walde bei Romagne ein 38er Langrohrgeschütz. Gegen 2 Uhr nachts leuchtet ein hellgelbes Licht am fernen Horizont auf, was sich zusehends vergrößert und die umliegende Gegend wunderbar erkennen läßt. Ein großes Munitionslager ist in die Luft geflogen, ob von unserer Seite oder vom Feinde habe ich nicht erfahren können.

6. Mai 1916

Morgens 7 Uhr wird sich vom Lager erhoben, am nahen Brunnen in einer Büchse (ehemals eine Dose v. Schmalzersatz) gewaschen. Einer aus der Korporalschaft hat inzwischen in Kochgeschirren Kaffee von der Feldküche geholt. Bei einer Scheibe Kommisbrot wird der edle Mokka eingenommen. Ich ziehe mich bis auf die Haut aus und suche Läuse. 7 Stück sind das Ergebnis der Jagd. Tagsüber hört das Brüllen der Geschütze nicht auf. Ich besuche nachmittags Ltnt. Oppermann, er teilt mit, dass er wahrscheinlich ins Lazarett nach Montmedy kommt. Ltnt. Werner wird mein Zugführer,. Gegen Abend zieht schwarzes Gewölk am Himmel auf, ein starker Wind macht sich bemerkbar, es reißen sich plötzlich die französ. Fesselballons los und überfliegen unsere Gegend, von unseren Abwehrgeschützen lebhaft beschossen. Ener unserer Ballons landet in der Nähe von Montmedy[,] ein feindlicher, wie ich nachher erfahre, ohne Insasse in der Nähe von Broistedt auf der Strecke Braunschweig-Hildesheim. Nachts übliche Beschießung.

Morgens 2-5 Uhr heftiges Geschützfeuer in Richtung Verdun. Franzosen beschießen Ville mit schweren Schiffsgeschützen. Mann hört ganz deutlich das Sausen der Granaten. Tagsüber beschießen unsere 42er Verdun. Mächtig erdröhnt die Erde bei jedem Abschuss, unheimlich gurgelt das Geschoss durch die Luft. Gegen Abend Regen.

8. Mai 1916

Regen. Wir liegen seit 9 Uhr morgens im Alarm, Sturmgepäck wird geschnürt, sonst das übliche Geschützfeuer. Gegen 3 Uhr nachm. Alarm aufgehoben, das II. Btl. geht in Stellung. Ich treffe die 5. Komp. vor der Kirche u. rufe nach Heidorn, der sich auch meldet und nicht wenig erstaun[t] ist, mich auch hier zu finden.

Ich übergebe ihm sein Taschenmesser, welches er bei seinem Aufbruch von Hannover bei unserer Wirtin liegen liess. Ich wünsche ihm viel Glück und er geht in Stellung, Lebensmittel nach vorn schaffen. Ltnt. Oppermann verabschiedet sich, Lazarett.

9. Mai 1916

Sonnenschein, Wir lausen uns wieder draußen auf der Wiese. Sonst das übliche Schießen. Wir stehen in Korpsreserve.

10. Mai 1916

Sonnenschein, nichts von Bedeutung[.]

11. Mai 1916

Morgens 7 Uhr Abmarsch des Regts. Bei Regen von Chaumont über Gibercy, Damvillers, Peuvillers, Vittarville, Dombras, nach Rupt. Unterwegs bei Damvillers treffe ich Offi. Stellvertreter Willi Kuntze (Wolfenbüttel), ein ehem. Schulkamerad, der mit seiner Komp. (8./R. 78) unterwegs n. Chaumont ist. Die Straßen sind sehr aufgeweicht u. schlecht zu passieren. Bei Peuvillers wird Halt gemacht u. Kaffee aus den Feldküchen geholt. Um 2 Uhr nachm. Ankunft in Rupt. Ich beziehe mit meiner Korporalschaft Quartier an der Hauptstraße inmitten des Dorfes. Mir gegenüber hat der Btls-Führer Haptm. Fink sein Quartier, Ltnt Spitzbarth[,] Ltnt. Werner, Ltnt. Ruf, VizFldw. Tepe[,] Wilhelmi.

Hier in Rupt noch Civilbevölkerung. Ich hole Milch u. Eier zusammen mit Utffz Cohn. 1 Ltr. Milch = 18 Pfg., 1 Ei = 10 Pfg.

12. Mai 1916

Vorm. 9.10 Uhr Exerzieren auf den Feldern in der Umgegend v. Rupt, nachm. Appell.

13. Mai 1916

Vorm. 9-10 Uhr Exerzieren. Nachm. Appell. Während meiner freien Zeit sehe ich mir das Dorf an. Ein Teil der Häuser zerschossen. Unten im Tal ein Gutshof, mehr Schloß, mit großem Park. Hinter unserem Quartier eine Anhöhe mit etwas Wald, wo wir uns tägl. Ausruhen. Ich nehme Sonnenbäder. Gegen Abend Regen.

14. Mai 1916 (Sonntag)

Morgens 11 Uhr Feldgottesdienst im Park (I. Btl.) Regen. Unsere Regimentskapelle begleitet die Gesänge.

15. Mai 1916

Warm. 8 Uhr Übungsmarsch über Petit Failly, Ham les St. Jean, Marville nach Rupt. Hinter Marville holt uns unsere Regts-Kapelle ab. Schönes Wetter.

16. Mai 1916

Vormittags Exerzieren, Überwinden von Hindernissen.

Nachmittags Verpassen von Gasmasken im Stinkraum durch den Gasoffizier Ltnt. Reusche. Gewehrreinigen (Sonnenschein)

17. Mai 1916

Vorm. Exerzieren, nachm. Gewehrrevision

Wir baden indem Bach Othain; dort zufälliger Besuch des Kanoniers Röhmann (vor mehreren Jahren Lehrling bei meinem Schwager in Wolfenbüttel[)] Röhmann kam vom Toten Mann per Rad, um seine Bruder, der bei unserer 3. Komp. war, zu besuchen. Wir blieben noch bis gegen 10 Uhr auf der Wiese mit ihm zusammen.

Gegen Abend: Empfang von Liebesgaben v. Hannov. Provinzialverband (1 Trinkbecher Rotwein, 4 Cigarren, 6 Cigaretten, Steinhäger)

18. Mai 1916

Vormittags: Unterricht im Stellungs-Krieg

Nachmittags: Turnspiele unten in der Wiese. Stafettenlauf, Dritten abschlagen, Wettlaufen.

Nachts Flieger über uns.

19. Mai 1916

Morgens 4 Uhr Abmarsch zur Entlausungsanstalt in Carignan über Petit-Failly, Ham les St. Jean, Marville, Villers les Rond, Chareny-Vezin. Von dort mit der Bahn über Montmedy [Montmédy], Chauveny, Lamouilly, Magut-Fromy nach Carignan. Der Weg nach dort geht durch die genannten teilweise gänzlich zu Anfang des Krieges zerschossene Ortschaften. Am Tunnel von Montmedy [Montmédy] kann man noch die Wirkung der Sprengung am Ein- u. Ausgang wahrnehmen, die Drahtverhaue. In Carignan selbst werden wir in Abteilungen von 30-40 Mann zum Lausoleum einer früheren Mühle geführt. Das Zeug, sämtliche Bekleidungsstück[e][,] werden abgegeben u. gefangene Russen müssen sie in großen Kesseln durch Dampf erhitzen. Während dieser Zeit nehmen wir in einem Raum Brausebäder u. reinigen unseren von Staub u. Dreck beschmutzten Körper gründlich. In noch heissem Zustande empfangen wir nach etwa einer Stunde unsere Kleidungsstücke wieder und zogen uns an, um aus dieser von den schlechtesten Zeuggerüchen durchzogenen Atmosphäre zu verschwinden. Ich traf mich draußen mit meinem Zugführer Vizefeldw. Wilhelmi u. noch einem Leutnant d. 3. Komp. um den vor dem Orte liegenden Flugpark zu besichtigen. Unter Führung eines Flieger-Unteroffiz. sahen wir die Kampf-Doppeldecker, die Einrichtung der Zelte u.s.w.

Um ½ 6 Uhr abds. brachen wir von Carignan nach Verpflegung auf dem dortigen Bahnhof wieder nach Rupt auf (Sonnenschein sehr heiss.)

20. Mai 1916

Morgens 9 Uhr Unterricht über Märsche.

Nachm. 5 Uhr Appell (Sonnensch.)

21. Mai 1916

11 Uhr vormitt. Löhnungsappelll (Sonnenschein)

Nachm. unternehme ich einen Ausflug in die Umgegend v. Rupt. Auf der Straße n. Grand-Failly mehrere alte Schützengräben + Kriegsgräber. In derselben Straße ein Kruzifix und Reste einer ehem. Holzbrücke, da die alte steinerne Brücke gesprengt war. Ich unterhalte mich mit einem 80jährigen Franzmann, der mir seine Erlebnisse vom Kriege 1870 u. dem jetzigen erzählt.

22. Mai 1916

Morgens 8 Uhr Exerzieren (Sonnensch.) (Sturmangriffe) nachm. Baden u. Turnspiele unten in der Wiese am Othain.

Gegen Abend unternehme ich einen Spaziergang in den nahen Wald u. kehre gegen ½ 9 Uhr zurück[,] inzwischen waren wir alarmbereit geworden.

23. Mai 1916

Morgens 3.15 Uhr Abmarsch von Rupt nach Marville um anderen Truppen Platz zu machen. Alarm aufgehoben. (Sonnenschein)

24. Mai 1916

Morgens Exerzieren, Nachm. Baden in der dortigen Badeanstalt (Gewitter)

25. Mai 1916

Morgens Exerzieren. Nachm. Uniformen verpassen durch Feldw. Schünemann. Ich besuche Vizefeldw. Wilhelmi und unternehme mit ihm einen Spaziergang durch Marville.

Marville ist ein Städtchen von ungefähr 3000 Einwohnern (zu Friedenzeiten) und eine der ältesten Niederlassungen, älter als Trier. M. ist festungsartig angelegt, ehemals wichtiger Ort in der Geschichte. Wir gehen auf den sogenannten Schädelberg, der auf seinem Gipfel eine Kapelle u. Kirchhof trägt. In einem kl. Häuschen sind ca. 40.000 Schädel u. Beinknochen bis unter die Decke gestapelt. Was sie zu bedeuten haben, konnte ich nicht erfassen. Oben konnte man wieder starkes Artilleriefeuer von Verdun her hören.

Wir sind wieder marschbereit.

26. Mai 1916

Morgens 4 Uhr Abmarsch über Delut, Vittarville, Peuvillers, Damvillers, Gibercy nach Chaumont. Wir sind in Korpsreserve. Mittags besucht mich Gefr. Heidorn aus d. 5. Komp. u. ladet mich ein z. Schweinebraten essen. Ich habe auch von Hand Pakete erhalten. Gegen 6 Uhr abends, wir sitzen vor dem Quartier Heidorns u. lassen uns den Braten, den wir über ein Feuer erhitzt haben, gut schmecken. Kaffee hatte ich gekocht. Die Garderegt. 6.+7. kommen durchs Dorf, ebenso auch Bayern (Regen)

27. Mai 1916

Nichts neues (Regen)

28. Mai 1916

Morgens Grüßen üben (bewölkt)

29.+30. Mai 1916

Morgens Exerzieren (bewölkt)[,] ich treffe unter dem neuen Ersatz einen Ldstm. Meyer aus Wolfenb.

31. Mai 1916

Morgens Exerzieren.

Nachm. Turnspiele. 5. Korporalsch. Erhält im Stafettenlauf den 1. Preis = 1 Flasche Cognac.

1. Juni 1916 (Himmelfahrt)

Morgens ¾ 11 Uhr Löhnungsappell. Nachm. dienstfrei.

42er schießen. Ich sitze morgens gegen 9 Uhr in der Wiese, hatte mir vom Untffz. Hasenlust (Gr. Benkte) ein Fernglas geborgt und beobachte die 42er, als plötzlich ein Gegenstand mit unheimlichem Sausen durch die Luft fliegt. Ungefähr 100 m links von mir schlägt er in die Erde. Alles flüchtet erst entsetzt, kommt aber wieder zusammen an der Stelle 1 m vor einer Kantine. Dort liegt ziemlich tief in der Erde ein Gegenstand aus Stahl. Es war das Rohr des 42ers geplatzt u. ein Sprengstück (ungef. 3 Ctr. Scher) aus 1 km Entfernung hier her geflogen. Es wurde ausgegraben, man konnte deutlich die abgenutzten Züge erkennen. Ein anderes Stück (1 Ctr. Scher) war bei der Telefunken-Station nieder gefallen.

Nachts ein Uhr.

Bis 12 Uhr nachts hatten wir in unserem Kuhstall Ratten fangen wollen beim Schein der elektr. Taschenlampen, jedoch nichts erreicht. Gegen 1 Uhr erwache ich plötzlich durch das Geknatter der Maschinengewehre. Der Ruf: „Flieger! Licht aus!“ wird laut. Ich krieche in der Dunkelheit aus meiner Schlafkoje heraus u. gelange auch an den Ausgang uns. Kuhstalles. Vorsichtig auge ich hinaus u. sehe am nächtlichen Himmel bereits Scheinwerfer spielen. Ein Krach und ich war wieder in meiner Behausung verschwunden. Ungefähr 150 m von mir entfernt hate das feindl. Flugzeug eine Bombe fallen lassen, in der Nähe dort liegende Mannschaften getötet u. verwundet (2 Mann tot, 4 verwundet). Ich habe mir kurze Zeit darauf die Stelle angesehen u. hörte noch das Schreien u. Wimmern der Verwundeten.

2. Juni 1916

Morgens Exerzieren. Ich werde als Sturmtruppführer ausgebildet.

Nachm. werde ich zum Unterricht am franz. Maschinengewehr n. Romagne abkommandiert.

Gegen Abend komme ich von dort wieder zurück.

Ca. 2000 Franzosen passieren die Straße von Azannes.

3. Juni 1916

Vorführung des Sturmtrupps vor Hauptmann Fink (Btl.-Führer) in Gegenwart der 1.-3. Komp. Wir bekommen Stahlhelme.

Nachm. 4 Uhr bei Regenwetter über Gibercy, Damvillers, Merles nach Waldlager bei Dombras. Wir liegen in Baracken aus Vasenholz.

4. Juni 1916 (Sonntag)

Tagsüber nichts von Bedeutung. Ich gehe in den nahen Wald u. finde Erdbeeren. (Sonnenschein).

5. Juni 1916

Morgens Exerzieren auf der vor unserem Waldlager sich hinziehenden Waldwiese. Sturmangriff üben. Bewölkt gegen Abend Regen.

Utffz. Cohn erhält d. Braunschw. Verdienst-Kreuz.

6. Juni 1916

Morgens Besichtigung durch d. Divisionskommandeur eur. Excell. v. Wartenberg.

Nachm.: Dienstfrei (Regen).

Es heisst: Der Herzog v. Braunschweig will uns morgen besichtigen.

7. Juni 1916

Mittags bei Regen Abmarsch vom Waldlager Dombras über Merles, Damvillers, Wavrille, Gibercy, Ville devt. Chaumont nach dem Bois de Ville (in der Nähe vom Bois les Vaux Hordelle)[.] Gegen 8 Uhr abds. kommen wir bei Regen dort an. Die Schlucht sogen. Brunnenschlucht, in die wir kommen, liegt links (westlich) der Straße Ville-Beaumont ca. 1 ½ km südl. Ville. Der Weg Ville-Beaumont der oberhalb des Tales (Küchenschlucht) am Abhang d. Bois le Comte in süd-südwestli. Richtung sich hinzieht, wurde vom Franzmann abw. Beschossen, besonders mittags u. abends. In der Schlucht standen die Feldküchen. Die Wege waren aufgeweicht, der Dreck floss förmlich die Wege hinab. Unteroffizier Tarvernier, der als Quartiermacher voraus geeilt war, hatte uns einen Wellblechunterstand gesichert. Dahinein kam meine 5. Korporalschaft. Nur wenig Holzwolle stand uns als Unterlage zur Verfügung. Wir warfen unsere Waffen und sonstiges Gepäck ab u. richteten uns häusl. ein. Ich kochte Kaffee und briet mir Kartoffeln mit Speck, die ich in der äussersten Ecke d. Unterstandes neben einem beinahe leeren 25 Pf. Eimer Feigen-Marmelade entdeckte. Ich war noch nicht mit meiner Braterei zu Ende, als der Befehl kam, mit Gasmasken, aber ohne Gepäck und Koppel auf dem in der Brunnenschlucht sich hinziehenden Weg anzutreten, um Stollenbretter vom Pionierpark im Fosses-Wald nach der Kapelle am Wege Chambrettes-Ferme-Pfefferrücken zu transportieren. Auf schlüpfrigen Pfaden, teilweise bis an den Stiefelschäften im Schlamm, traten wir unseren Marsch an längs der Strasse Ville-Beaumont.

Etwa 2 ½ km neben der Fahrstrasse her, bogen wir nach Südosten, um die Anhöhe hinauf, weiter durch den Wavrille-Wald, dann über die Chaussee Cap d. guten Hoffnung – Beaumont, am ehem. Gefechtsstand der Artillerie vorbei über die unbewaldete Höhe ca. 1 km östl. von Beaumont. Vor uns breitete sich der Fosses-Wald aus. Dieser Weg dorthin wurde vom Franzmann ständig, wenn auch nicht stark unter Feuer genommen, besonders die Umgegend von Beaumont. Der Ort selbst war gänzlich zerschossen. Die erste Schlucht (sog. Panzerschlucht) war sehr steil, durch den Regen glitt man auf dem aufgeweichten Lehmboden häufig hin, Fluchen u. Schimpfen war an der Tages-Ordnung. Die schweren Geschosse sausten über uns hin und schlugen krachend um uns (aber ziemlich weit) ein. Der Fosses Wald hatte durch das ewige Einschlagen der Granaten stark gelitten. Die Bäume lagen zersplittert über und unter einander, sodass es bei der inzwischen eingetretenen Dunkelheit sehr beschwerlich wurde, den richtigen Weg inne zu halten. So kam es auch verschiedentlich vor, dass die Verbindung abriss u. erst mit vieler Mühe wiederhergestellt werden konnte. Nachdem die Höhe von der Panzerschlucht aus nach Osten unter diesen Schwierigkeiten erstiegen war, kamen wir in der Fosses-Schlucht an. Die ganze Strecke bis hier unten zum Pionierpark am Grunde der Schlucht wurde in schnellstem Schritt zurückgelegt, teilweise sogar im Laufschritt. Vor dem Pionierpark angekommen, ruhten wir uns erst man von den Strapazen aus, ich  nahm diese Gelegenheit wahr und füllte meine inzwischen leer gewordene Feldflasche aus einem Granattrichter wieder, nachdem ich mich selbst gestärkt hatte; obwohl das Wasser stark lehmig war. Im Pionierpark empfing nun meine Komp. die Stollenbretter, und schleppten meine Kameraden nicht gerade leicht daran, solch ein Brett wiegt wohl immer ca. 40-50 Pf., zumal sie noch vom Regen getränkt waren. Im Gänsemarsch ging es nun weiter wieder eine steile Anhöhe hinauf, durch den Wald, ca. 200 m südl. an der Chambrettes-Ferme vorbei zur sogen. Kapelle, welche ich aber nicht zu sehen bekam. Beim Austritt aus dem Fosses Wald konnte man durch das von Leuchtkugeln erhellte Gelände die Wirkung der feindl. Geschosse erkennen, alles ringsherum war von Granatendurchwühlt, ein Granatloch neben das andere. Unsere Artillerie feuerte auch lebhaft besonders die 21er Mörser, die damals im Fosses-Walde lagen, ebenso auch die Langrohr-Geschütze. Nachdem wir die Stollenbretter dort abgeliefert, vielmehr hingeworfen hatten, traten wir den Heimweg wieder im Laufschritt an. Vor uns marschierte die 3. Komp. Abermals hatten wir Schwierigkeiten. Auf der Höhe östlich von Beaumont bekamen wir plötzlich ca. 300 m vor dem Wavrille-Walde, heftig. Feuer. Da die Granaten näher kamen, suchten wir Deckung in den Granatlöchern. Nach ca. ½ Stunde erhoben wir uns wieder. Gerade beim Eintritt in d. Wald ging dasselbe nochmals los. Schnell waren wir am Boden verschwunden, als ich ein Stöhnen u. Rufen nach dem Sanitäter hörte. Ich kroch vorsichtig heran. Vor mir sassen hinter einem zerschossenen Baume zwei verwundete Kameraden, rechts ca. 10 m von mir vor einem Granatloche lag ein Toter der 3. Kp. Auf das Ersuchen den beiden zu helfen, verband ich den einen, welcher einen Granatsplitter im Rücken unterhalb des Schulterblattes bekommen hatte, mit Hilfe meiner Verbandpäckchen. Der andere, ein gewisser Musk. Böhmann aus Börssum hatte nur eine unbedeutende Wunde an der linken Hand (Handgelenk). Inzwischen hatte meine Gruppe die entstandene kleine Feuerpause benutzt u. laufend diesen gefährlichen Ort verlassen. Leider war es mit nicht möglich, den Verwundeten weiteren Beistand zu leisten, sondern mußte schleunigst aufbrechen, um meine Gruppe wiederzufinden. Nach wiederholtem Rufen u. schnellstem Laufen, wobei ich mehreremale über Drahthindernisse stolperte u. hinfiel, kam ich endlich bei meiner Gruppe an. Für den weiteren Abtransport der Verwundeten sorgten die Sanitäter der 3. Komp., die ich nachher noch traf. Um 5 Uhr morgens kamen wir nach diesen Strapazen u. denen des vorangegangenen Tages müde in unserer Küchenschlucht wieder an.

8. Juni 1916

Es wird Kaffee getrunken u. bis Mittag geschlafen. Gegen Mittag wieder Befehl „Stollenbretter nach vorn schaffen.! Diesmal aber von Ville zum Pionierpark in der Vasseschlucht. Unter Leutn. Rufs Führung gegen wir nach dem nahen Dorfchen Ville u. empfangen Stollenbretter. Abermals saure Arbeiten, Schimpfen u. Fluchen. Doch schießt der Franzmann nicht mehr so stark wir am vorherigen Tage. Ohne Verlusten kommen wir wieder um 12 Uhr nachts an. Dann wird sich wieder ausgeruht.

9. Juni 1916

Tagsüber beschießt der Franzmann wieder mit schweren 28ern die Küchenschlucht. Es schwirren die unheimlichsten Parolen in der Luft, man erzählt sich, das es heute Nacht in Stellung gehen soll.

Gegen Abend 7 Uhr Befehl: „Sturmgepäck fertig machen!“

Um 9 Uhr abs. Abmarsch, wohin, unbekannt. Man sieht unruhige Geister, allgem. gedrückte Stimmung. Wieder geht’s denselben Weg wie an den Tagen vorher. Bis zur Panzerschlucht keine Verluste. Hier kommen wir in der Reservestellung der Res. 74 an. Wir suchen uns Bunker aus, da wir annehmen, dass wir das Regiment ablösen sollen. Nach ¾ Stunden, etwa gegen 12 Uhr nachts, brechen wir wieder auf. Wir wissen jetzt, wohin es geht, in Stellung. Bei unserem Aufenthalt bei den 74ern spürten einige Kameraden einen kleinen Ballon Schnaps auf. Auf schnellstem Wege werden die Feldflaschen gefüllt. Ich verzehre ein Stückchen Kom[m]isbrot mit Feigenmarmelade u. dazu Schnaps. Einige meiner Kameraden haben sich des Guten zuviel getan u. schwanken bedenklich. Aufbruch. Der Weg geht weiter durch den Fosses Wald. Es entstehen Verluste durch die Strapazen der vergangenen Tage, einige bleiben vor Ermattung u. dem genossenen Alkohol abseits am Wege liegen. Sanitäter sorgen für das weitere. Es geht an der Chambrettes-Ferme vorbei, der Kapelle am Laufgraben entlang zur „Totenschlucht“. Der Franzmann schiesst wieder heftiger. Die Verbindung reist ab. Liegen ¾ 1 Uhr kommt Meldung durch die Kette: [„]Uffz. Cohn verwundet.“ Cohn war der letzte unserer Komp. Eine Granate hatte ihm den linken Arm abgerissen. Bei dieser Meldung liegen wir unterhalb des Chauffour Waldes, am Anfang der Totenschlucht. Nach ungefähr 10 Minuten brechen wie wieder auf. Heftige Kanonade rechts und links. Kaum etwas  vorwärts, wieder Aufenthalt – immer an den gefährlichsten Stellen – dann plötzlicher Aufbruch, im Laufschritt geht’s weiter. Stolpern, Fluchen, Schimpfen, Höhenkamm u. Schlucht unter starkem Feuer, Graben vielmehr Pfad verschüttet, links im Chauffour Reservestellungen, Aufenthalt, dann geht’s wieder plötzlich weiter durch die Totenschlucht; hier herrscht wirklich der Tod. Kein grünes Fleckchen mehr, alle aufgewühlt, vereinzelte Baumstämme starren in die Luft, die Leichen werden immer zahlreicher. Es herrscht furchtbarer Gestank. Unser Führer hat den Weg verloren in der Dunkelheit. Begegnung mit einem Truppenteil, Zusammenstoß, Drängerei. Wir sind an der Minzeschlucht angekommen. Einige Verwundete werden in der Dunkelheit angestossen und schreien laut auf. Es geht wieder eine Anhöhe hinauf. Endlich finden wir wieder einen Laufgraben. Hinein um wenigstens etwas Deckung zu haben. Hier Aufenthalt[.] Wieder weiter, erst langsam, dann rascher. Ich trete auf eine weiche Masse im Schlamm, ein Schaudern geht durch meinen Körper – ein Toter -. Nach Kriechen u. Rennen sind wir in der Tettau-Schlucht angekommen. Wieder die steile Anhöhe hinauf u. über Löcher, Steintrümmern u. Leichen hinweg. Eine Granate platzt in ca. 50 m Entfernung von mir, ich fliege zur Erde um mich vor den Splittern zu schützen. Lntnt. Werner erhält endlich Befehl mit einem Teil der Komp. in Stellung, ungefähr 400 m vor uns, zu gehen, der andere Teil bleibt als Relaisposten zurück. Das ist ungefähr um 2 Uhr nachts. Ich bekomme Posten 10 in der Tettauschlucht, ungefähr 1 ¼ km westl. Fort Douaumont. Ich gehe unter Führung von einem Kameraden des Res 78er mit noch 4 Mann meiner Gruppe dorthin. Über zerwühltes Gelände hinweg kommen wir am Stollen an. Im Eingang verschiedene Kameraden, welche Schutz suchen.

10 Juni 916

Ich übernehme den Posten 10, die Abgelösten verbleiben noch bis gegen 4 Uhr morgens bei uns. Als Läufer zur Überbringung von Befehlen sind bei mir

Wehrm. Dura

Ldstpft. Eckelmann

Ldstpft. Kruse

Ldstpft. Meyer

Ich habe die Verbindung aufrecht zu erhalten mit dem Bataillonsunterstand am Eingang zur Tettauschlucht und Minenwerfern oberhalb meines Stollens. Unaufhörlich feuert der Franzmann rechts (gegen Osten) sehe ich b. Tagesanbruch die Reste d. Forts Douaumont etwas westlich davon das Dorf D., nur noch ein Trümmerhaufen.

Der Stollen ziemlich tief, ca. 6 m unter der Erde u. 6 m in die Erde hinein. Unser Sturmgepäck, Gewehr u.s.w. hängt unten an einem in die Wand geschlagenen franz. Seitengewehr[.] Decken, natürlich sehr verlaust, dienen als Unterlage und zum Zudecken. Bei Tagesanbruch gehe ich hinaus vor den Stollen. Vor dem Eingang eine mannshohe Wehr zum Schutz gegen Sprengstücke u.s.w. Die Kanonade hört nicht auf. Von Fort Vaux oder Damloup her werden wir mit 28ern bedacht. Tagsvorher ist der Nachbar-Unterstand dadurch verschüttet. Mehreremale müssen die Läufer Befehle z. d. Minenwerfern u. d. Posten 9 überbringen. Verwundete kommen vobei. Die Hitze u. der Gesatnk werden unerträglich. Flieger beobachten das Gelände, jedesmal b. Sichtung eines feindl. Fliegers ertönt eine Signalpfeiffe, alles verkriecht sich eiligst. Gegen 10 Uhr vormitt. gehe ich zum Zugführer, vielmehr laufe unterwegs bis zum Posten 1 bekomme ich Masch. Gewehr, woher? Ich komme dort gut an, bitte um eine Flasche Wasser u. um Verpflegung[,] ich erhalte einen Trinkbecker voll Wasser, eine Flasche Schnaps von einem Kameraden. – Dann wieder zurück nach Posten 10, habe Anweisung erhalten, bei Posten 5 (Gefr. Helmedag) muß ich länger verweilen, da ich Sperrfeuer bekomme, wieder weiter, ich verfehle den Laufgraben, da völlig eingeebnet[,] ich krieche zurück, finde ihn wieder, erhalten von rechts Masch.-Gewehrfeuer, bleibe hinter der Grabenwand liegen, krieche langsam über deine Leiche hinweg u. verliere meine Flasche mit Schnaps. Schliesslich finde ich sie im Schlamm versteckt wieder. Dann geht’s in Windeseile durch die Tettauschlucht, wieder die steile Höhe hinauf u. befinde mich im Laufgraben vor dem Batl.-Unterstand. Gott sei Dank, ich bin aus der gefährl. Zone heraus u. komme zu meinem Posten 10 zurück. Ich verteile den mitgebrachten Schnaps – wenigstens eine Stärkung für den Durchfall, an dem wir alle leiden mußten. Dan ganzen Tag hört der Franzmann nicht auf mit Schießen. Gegen Abend bei Anbruch der Dunkelheit verstärkt sich das Feuer Trommelfeuer, der Franzmann trommelt die Umgebung ab, unten im Unterstand brennen wir Stearinkerzen, über unserem Unterstand liegen zwei Pioniere begraben, darunter wohnen wir. Man kann den Gestank der verwesenden Leichen wahrnehmen. Befehle kommen während der Nacht verschiedentlich an und werden weitergegeben. Immer im Laufschritt. Gegen Mitternacht Sperrfeuer. Die Truppenverstärkungen u. Verpflegungstrupps kommen heran. Schnaufend und in Schweiß gebadet erhalten wir durch Läufer vom Unteroffizier Ahring (Posten 9) unsere Verpflegung bestehend aus einem Kommisbrot, einen halben Becher schwarzen Kaffee u. etwas Mettwurst sogen. Gummiwurst. Unterhalb Douaumont quillt aus einem Gemäuer Wasser, Dura u. Eckelmann gehen dort mir Kochgeschirr u. Feldflaschen hin. Nach einer ½ Stde. kehren beide zurück. Der Weg dorthin war beschwerlich. S[c]hrappnells platzten in der Nähe der Quelle, ohne Schaden anzurichten. Um ihnen herum liegen die Leichen, halb vom Schmutz bedeckt.

11. Juni 1916

Von dem mitgebrachten Wasser wird Kaffee gekocht u. gleichmäßig unter uns verteilt. Von der Hitze macht sich großer Durst bemerkbar; die Feldflaschen werden leer, trotzdem sparsam mit den vorhandenen Flüssigkeiten umgegangen wird. Nur der Gaumen wird damit angefeuchtet[.] Schrecklich dieses Dürsten. So geht es während der ganzen Zeit unseres Dortseins. Wenig Flüssigkeit, wenig zu essen. Das Artilleriefeuer beginnt am Mittag stärker zu werden, am Abend steigert es sich noch mehr. Die gegenüberliegende Höhe mit Gasgranaten beschossen. Ein Schwefelgeruch macht sich bemerkbar, wir legen unsere Gasmasken bereit. Die Nacht versucht der Franzmann einen Angriff bei Fort Douaumont. Gewehrfeuer ist aus aller nächster Nähe hörbar. Gegen Morgen ruhiger. Die Artillerie schießt nicht mehr so stark wie am Abend vorher. Dura u. Kruse holen wieder Wasser, kommen aber mit leeren Gefäßen zurück. Sie erhalten starkes Feuer und müssen umkehren. Bei Morgengrauen steht ich vor dem Stollen. Ein Transport etwa 121 gefangene Franzosen werden den Abhang zu unserer Schucht fortgeführt, eine Granate schlägt in die Gruppe ein, zwei bleiben unverwundet, 4 tot, die anderen teils leicht, teils schwer verwundet.

12. Juni 1916

Tagsüber wieder heftiges Geschützfeuer in Richtung Fosseswald Chambrettes-Ferme. Es regnet etwas. Wir spannen vor unserem Stollen meine Zeltbahn aus, und fangen das zusammengelaufene Regenwasser in ein untergehängtes Kochgeschirr auf. Feiner Sprühregen, es dauert lange bis ein Kochgeschirr voll ist. Einige Male erhalten wir wieder Kohlenkästen (28er) vor unseren Unterstand. Mir gegenüber am anderen Abhang liegt ein toter Franzmann. Verschiedentlich wird er durch Granaten ein- u. wieder ausgewühlt, bis er ganz u. gar verschwunden ist. Im Grunde der Schlucht ein franz. Zertrümmertes Geschütz.

In der Nacht gegen 1 Uhr werde ich abgelöst u. übernehme Posten 11., der noch weiter vorn liegt in d. Albain-Schlucht.

Posten 11 ein ehemal. französ. Telephonunterstand, enger Eingang nach Süden, also dem Franzmann zu. Ich muß Verbindugn halten mit dem vordersten Gaben und Posten 9, bezw. Bataillonsunterstd. Es kommt der Befehl durch nur Briefe tagsüber zu befördern mit dem Vermerk „eilig“ oder „eilt sehr“. Im Unterstand sind:

[Namen fehlen!]

Beim Hinaustreten aus dem Unterstand bekommen wir aus der linken Flanke Maschinen-Gewehrfeuer. Drei Läufer der Relaiskette meine Vorgängers sind verwundet, Müller, Warsen, Beiß.

Tagsüber wieder heftiges Geschützfeuer, nachts noch stärker.

Gegen Morgen schwächer werdend. Im Unterstand ein Kamerad Lege (4. Komp.)[.] Im Graben durch Gewehrschuss am linken Oberarm verwundet wollte er sich zum Sanitätsunterstand begeben, wurde aber vom Franzmann nochmals in unsere Nähe beschossen und blieb in einem Granatloch hilflos liegen. Durch sein Rufen aufmerksam geworden, meldete mir ein Läufer. Ich wollte ihn holen lassen, konnte jedoch vor Sperrfeuer nicht ran. Es gelang uns am nächsten Abend erst. So hatte er noch einen Tag und eine Nacht drauß0en im Granatfeuer zubringen müssen. Wir hatten ihn schon längst aufgegeben, denn tagsüber war es uns nicht möglich ihn zu holen. Bei Anbruch der Dunkelheit des 14. Junis meldete er sich. Trotz seiner zweiten Verwundung, Schuss durch den linken Oberschenkel unter Verletzung des Knochens war er ganz in die Nähe unseres Unterstandes gekrochen. Ich holte ihn mit noch anderen Kameraden u. so gut es ging brachten wir ihn in die äusserste Ecke des gerade nicht allzu großen Unterstandes. Nachdem er sich gestärkt hatte mit einigen Bissen trockenen Brotes u. etwas Kaffee, erzählte er von seinen Erlebnissen dort draußen. Er hatte sich mit Hilfe des noch unverwundeten rechten Armes und der Zähne mit seinem Hosenträger das linke Bein abgebunden. Es blieb noch bis zum anderen Abend in unserem Unterstand u. lieferten ihn unter großen Schwierigkeiten beim Sanitätsunterstand in der Tettauschlucht ab. Meldung darüber hatte ich meinem Komp.-Führer Ltnt. Werner gemacht. Den 14. Juni verbachten wir unter dem üblichen Artilleriefeuer.

Nachts 12 Uhr setzte ein unheimliches Trommelfeuer des Franzmannes ein, welches bis zum 15. Juni mittags 12 Uhr dauerte. Flachbahngeschosse sausen über uns in einigen Metern Entfernung vorüber. Granaten schwersten Kalibers platzen ganz in unserer Nähe. Stine und Granatsplitter fliegen in den Eingang unseres Unterstandes, wir kriechen nach rückwärts und kauern dort zusammengepfercht in einer Ecke. Man sieht Angst in den Gesichtern der Kameraden. Steine und Erde bröckeln von der Decke herab. Ein herber Schlag, unsere Stearinkerze erlischt, dicht vor dem Eingang platzt eine Granate, der Eingang ist zugewühlt. Hacken und Spaten werden hastig ergriffen, wir sind verschüttet doch nur der Eingang. Zersplitterte Balken, Bretter[,] Erde und Steine versperren uns den Eingang. Sofort wird alles weg geräumt[,] um Luft zu bekommen. Von draußen hört man dumpfe Schläge, das Unwetter ist noch nicht vorbei. Das war gegen 3 Uhr morgens. Wir bessern den Schaden nur notdürftig aus, stützen die Decke ab, die einzufallen droht. Kaum sind wir damit fertig, wieder ein furchtbarer Krach[.] Wiederum werden wir von allem möglichem überschüttet. Diesmal aber mehr wie vorigesmal. Die Luft wird dünner, mit Händen und Füßen werden die Splittern beseitigt, nach rückwärts geworfen. Eingang vollständig zu. Ein bedrücktes Gefühl. Angstschweiß bedeckt die Stirn[.] Wir sind verloren. Blitzschnell fliegt das Leben an uns vorbei[.] Alle nur erdenklichen Augenblicke gehen durch das Gehirn. Wir werden schlapp. Erstickungsgefahr droht mehr u. mehr. Da bekommen wir durch ein kleines Loch frische Luft, das Loch wird größer gerissen, erleichtert atmet alles auf. Wir sind gerettet[.] Immer noch wütet draußen das fürchterliche Trommel- bezw. Sperrfeuer.

Mittags 12 Uhr tritt plötzliche Ruhe ein. Der Franzmann greift an. Wird aber zurückgeschlagen. Unser[e] Kompagnie vorn versucht einen Gegenangriff im Verein mit der 3. Komp. Gefr. Sasse leitet den Sturmtrupp. Er erreicht den französ. Graben[.] Später erhält er dafür das Eiserne Kreuz I. Kl. Utffz. Mittendorf verwundet.

Abends gegen 10 Uhr setzt wieder Sperrfeuer ein. Wir erhalten keine Verpflegung, Wasser ist schon seit 2 Tagen nicht mehr vorhanden, wir leiden alle an Durchfall. Unsere Bedürfnisse verrichten wir in leeren Konservendosen, die erst nachts in einem Sandsack fortgeschafft werden können. Es herrscht deshalb in unserem Unterstand ein grässlicher Gestank.

16. Juni 1916

Wieder den ganzen Tag über das übliche Trommelfeuer, jedoch nicht so stark als die Tage vorher. Nach mehreren Tagen Fastens u. Dürstens erhalten wir wieder nachts Verpflegung und gleichzeitig die Meldung, dass wir diese Nacht noch abgelöst werden sollen. Um 2 Uhr kommt die Ablösung. Vorher ist schon alles zurecht gelegt, um möglichst schnell diesen Ort zu verlassen.

17. Juni 1916

Gegen ½ 3 Uhr morgens verlassen wir fluchtartig den Unterstand, laufen über zerwühltes Gelände hinweg die Höhe hinauf und erreichen keuchend den Bataillons-Unterstand in der Tettauschlucht. Wir erholen uns einen Augenblick. Ich sinke vor Erschöpfung um, Utffz. Ahring reicht mir kalten Kaffee und einige Cigaretten. Nach ¼ Stunde brechen wir wieder auf[,] laufen vielmehr stürzen den Abhang hinab in die Totenschlucht. Räder, Balken, Trümmern häufen sich dort auf. Unser Weg führt in der Schlucht entlang. In der Dunkelheit verlieren wir ihn, wir laufen zu weit, erhalten Feuer, kehren um, halten uns aber mehr nach Osten, endlich finden wir wieder einen Laufgraben. Treffe Utffz. Mittendorf verwundet, der auch zum Zugführer, Ltnt Ruf will. Endlich erreichen wir ihn in der Minze. Ich erhalte Erlaubnis, zum Sanitätsunterstand zu gehen, um mir Tannalbintabletten u. Opiumtinktur zu holen wegen meines Durchfalls. Bis gegen 12 Uhr bleibe ich dort. Das Trommelfeuer lässt nach. Vom Zugführer erhalte ich Befehl Posten 6 u. 7 zu übernehmen. Gegen 1 Uhr. Ich befinde mich vor dem Posten 2, wo ich den Kameraden Schmidt au[s] Wolfenbüttel treffe (Sohn des Kirchendieners). Da der Franzmann sich ruhig verhält, beschliesse ich Wasser aus einer Quelle gegenüber der Minzeschlucht zu holen. Mit einigen Kochgeschirren u. Feldflaschen laufe ich hin, erhalten aber Schrapnellfeuer unterwegs und nehme Deckung in einem Granatloch. Gott sei Dank waren es nur 3 Schuss. Bei der Quelle angekommen trinke ich mich erst mal satt und verschwinde dann eiligst wieder mit meinen gefüllten Behältern. In der Totenschlucht platzt ein 28er, ich falle hin, die Kochgeschirre sind nur noch halb voll. Endlich komme ich wieder bei Posten 2 an. Wir kochen Kaffee. Ich sitze am Stolleneingang, da sehe ich meinen Kameraden Heidorn den Graben entlang kommen. Er erkennt mich erst nicht, seine Brille ist entzwei gegangen. Er will eine neue holen aus Gibercy. Ich bekomme als Entschädigung für einen Trunk Wasser 3 Cigarren. Gegen 4 Uhr nachm. Aufbruch nach Posten 6 u. 7. Bei Posten 4. Muß ich wegen Granatfeuer halt machen. Ich will in den Unterstand, ist jedoch schon überfüllt, ich bleibe im Eingang sitzen. Nach 1 Std. kommt ein Befehl durch ein Läufer, muß ihn weiterbefördern. Da ich nicht den richtigen Weg weiß, schliesse ich mich ihm an. Nach vielem beschwerlichen Laufen erreichen wir Posten 6 trotz Maschinengewehrfeuer wohlbehalten. Ich erkundige mich nach der Lage von Posten 7. Im Stollen 6 befindet sich ein Braunschweiger mit Namen Bienäcker. Ich nehme meinen kleinen Raum im Stollen ein. Er ist so groß, dass eben nur 2 Personen hineinpassen, aufrecht stehen kann man nicht. In der Nacht kamen mehrere Befehle durch. Bienäcker spielt trotz des Trommelfeuers Mundharmonika. Galgenhumor.

18. Juni 1916

Morgens erhalten wir Nachricht, dass wir diese Nacht abgelöst werden sollen, um in Ruhestellung zu kommen. Wir atmen auf. Der Tag will garnicht hingehen. Gegen Abend: „Diese Nacht um 12 Uhr wird abgelöst.“ Wir machen alles fertig, nach langem Warten ungefähr gegen ½ 4 Uhr, es wird schon wieder hell, erscheint die Ablösung. Raus aus dem Stollen. Der Franzmann schießt auf uns mit Masch.-Gew. Es wird niemand verwundet. Halb kriechend halb laufend kommen wir in der Minze an. Hier wird Gruppenweise gesammelt und im Gänsemarsch, vielmehr Lauf, geht’s zurück. 19. Juni 1916 Gott sei Dank, der Franzmann ist ruhig. Wir erreichen den Fosseswald. Trotz der Anstrengung machen wir nur kurze Zeit Pause, wir erholen uns nur notdürftig. Der Durst macht sich wieder bemerkbar. Wir erreichen die Höhe vor dem Wavrillewäldchen. Hier sehen wir erst die Wirkung des Sperrfeuers der vorhergehenden Tage, alles aufgewühlt. Pferdeleichen liegen noch umher. Dann durch den Wavrillewald, in die Küchenschlucht. Jetzt sind wir erst einigermaßen sicher. Wie laben uns an einer Quelle., es ist furchtbar kaltes Wetter. Wir frieren besonders im Schatten. Die Sonne erwärmt uns etwas. Nach ca. ½ Std. gesellen sich zu uns noch ein kleiner Rest unserer Komp. unter Ltnt. Ruf auf der Viller Landstraße. Langsam gehts weiter, vor Ermattung bleiben wir fast alle 10 Minuten liegen. An der Wegekreuzung nach Azannes sammeln wir uns abermals. 56 Mann ist der Rest der ehemals 180 Mann starken Komp. Ich treffe auf der Landstr. Nach Ville eben ehem. Schulkameraden Utffz. Schuppe aus Fümmelse. Die Sonne ist bereits höher gestiegen und erwärmt uns allmählich mehr. Wir erreichen Gibercy gegen 11 Uhr mittags. Ruhen uns vor der Kommandantur aus. Anfangs sollen wir hier bleiben. Um 1 Uhr brechen wir auf. Wir bitten Ltnt. Ruf um Besorgung einiger Lastautos, da wir vor Ermattung nicht weiter können. Schlieslich erhalten wir zwei. Wir fahren durch Damvillers nach Villarville, wo wir in Ruhe sind. Es wird sich gründlich ausgeruht.

20. Juni 1916

Wir werden entlaust. Pakete und Briefe aus der Heimat werden endlich nach 14 Tagen wieder empfangen. Welche Freude. Tagsüber wird sich auf der Wiese gesonnt.

21. Juni 1916

Um 5 Uhr Aufbruch nach Marville zur Kornprinzenbesichtigung. Um 12 Uhr mittags. Der Kornprinz schreitet mit Exzellens v. Wartenberg die Front ab. Wir stehen dicht am Marktplatz. Der Kronprinz verteilt Eiserne Kreu[ze] und unterhält sich mit den Leuten meiner Korporalschaft. Nach dem Vorbeimarsch an S. Kgl. Hoh. brechen wir wieder auf und kommen gegen 6 Uhr abds. wieder in Villarville an. Natürlich wieder sehr ermüdet.

22. Juni 1916

Morgens 3 Uhr Abmarsch nach Ville-Cloye bei Montmedy. Ich fahre jedoch mit einem Kranken mit der Eisenbahn nach _______________

23.-27. Juni 1916

Aufenthalt in Ville-Cloye. Morgens Exerzieren nachm. Appells. Zuerst wohnen wir in einer Scheune. Vom zweiten Tag an beziehen wir Quartier in der Schule. (Utffz. Tavernier, Specht, Ahring und ich)[.]

Wir besitzen ein Bett mit Sprungfedernmatratze, einen eichenen Schrank, Tische, Stühle u.s.w. sogar Gardinen sind vorhanden. Ich gehe in den ersten Tagen auf Suche nach Lebensmitteln. Von einer älteren Frau erhalte ich nachmittags ständig ca. 2 ½ l Milch und Eier. Von Haus erhalten wir Kaffeebohnen u. Puddingpulver, es wird gekocht. Von meinem Schwager aus Salzdetfurth bekomme ich Angelgerät u. Tavernier u. ich angeln im nahen Flusse, fangen jedoch nichts. Etwa am 25. Kommen neue Ersatz-Truppen an, darunter Fenne Garbe aus Wolfenbüttel. Nachts werden wir häufig von Fliegern besucht.  Während des dortigen Aufenthaltes habe ich an einem der Tage Arrestwache vor dem Spritzenhause.

28. Juni 1916

Um 6.30 Uhr morgens Abmarsch d. I. Batl. Nach Ville-Gloye über Velosnes nach Chareney-Vezin. Dort werden wir verladen, mittags 12 Uhr. Wir fahren über Montmedy, Chauvency, Lamouilly, Margut-Fromy, Carignan, Douzy, Bazeilles, Remilly, Autrecourt-Villers, Yoncq, Horancourt nach St. Juvin. Hier wird ausgestiegen auf der Station werden wir verpflegt. Dann marschieren wir weiter über Grandpré n. Senuc, wo wir um ½ 12 Uhr nachts ankommen und übernachten.

II. Argonnen

29. Juni 1916

Morgens 9 Uhr marschbereit. 9.30 Uhr Abmarsch über Grand Ham ___________ Laneon, Toter Mann-Mühle in Bereitschaftsstellung B.

Der Weg dorthin führt v. Senuc aus dem Tal des _______________ entlang am Rande des Argonnen-Waldes. Bis Lançon gingen wir Zug weise, von hier aus Gruppenweise, da Lançon schon vom Franzmann beschossen werden konnte. Neben dem ganzen Wege her fuhr eine Schmalspurbahn. Von Lançon aus gingen wir über eine Höhe hinweg und gelangten in die Nordausläufer des Argonnenwaldes. Herrlicher, dichter Buchen- u. Eichenbestand, teilweise von Schlinggewächsen durchzogen. Wir folgten also weiter der Eisenbahn über Charlepau [Charleveaux], Toter Mann Mühle durch das Charlottental in die Bereitschaftsstellung B. Hier wurden den einzelnen Korporalschaften Unterstände, sogen. Bunker angewiesen, die wunderschön unter der Erde ausgebaut waren. Von jedem Bunker aus ging ein Laufgraben zum Schutz gegen Granatsplitter u.s.w. Die anderen Wege waren mit Holzrosten belegt.

Wir lagen zu ungefähr 25 Mann in dem Unterstand, jeder hatte seine Ruhestätte, bestehend aus übereinander gelegten Balken, die mit Drahtgeflecht überspannt waren, sodass man sich der Länge nach darauf legen konnte. Den Lagerstätten gegenüber war der Eingang und die Fenster wie ungefähr Kellerfenster und vor diesen die Tische u. Bänke. Verpflegung holten wir Korporalschaftsweise aus dem Charlottental, ungefähr 15 Minuten entfernt, ebenso auch Wasser. Nachts hatten wir sehr unter Ratten zu leiden, die unaufhörlich über uns hinwegliefen.

30. Juni 1916

Morgens hielten wir uns vor unserem Bunker auf. Es war herrlich schönes Wetter.

Mittags 12.30 Uhr Abmarsch in Stellung.

Wir gelangen durch Laufgräben bei La Harazée und Four de Paris und lösen das Res. Inf.-Rgt. 83 ab.

Die Gräben sind sehr gut ausgebaut.

Ich beziehe einen Stollen und bekomme Nachtposten zu stellen. Bei mir sind [Namen fehlen!]

Nachtposten Sappe 25. Ausserdem Grabendienst (von 12-2 Uhr nachts). Die Stellung ist sehr ruhig, nur ab und zu hört man Geschützfeuer. Fliegertätigkeit ist rege.

Grabendienst v. 8-10 Uhr. Der uns gegenüberliegende Franzmann verhält sich ruhig, nur ab u. zu schießt ein Scharfschütze in Sappe 23. Übliche Beschäftigung: morgens Reinigen des Grabens und Auspumpen des vor unserem Unterstande befindlichen Wasserloches mit Hilfe einer Flügelpumpe in stündlichen Zwischenräumen.

 

[Die folgenden restlichen 37 Seiten des Tagebuches sind unbeschrieben.]

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