Kriegstagebuch Musketier Dinkeldein vom 2.-27. Juni 1915 (Landwehr-Infanterie-Regiment 29)

Musketier Dinkeldein ist nach den Informationen auf der ersten Seite seines Kriegstagebuches am 2. Juni 1915 zum zweiten Mal ins Feld gezogen, und zwar mit dem Landwehr-Infanterie-Regiment 29 an die Ostfront im heutigen Litauen. Über seine erste Zeit an der Front sind in dem Kriegstagebuch leider keinerlei Informationen enthalten.

Über seine Familie erfahren wir nur, dass seine Mutter ihm Pakete u.a. mit Zigarren schickte. Er erwähnt auch den Namen Luise, wobei unklar bleibt, in welcher Beziehung er zu ihr stand.

Bevor er zum LIR 29 gehörte, war er wohl dem Ersatz-Bataillon 160, 3. Kompanie in Bonn zugeteilt. Dies lässt sich aus seinem Namenseintrag mit Truppenteil am Ende des Kriegstagebuches schließen.

Sein zweiter Einsatz begann am 2. Juni 1915 mit einer mehrtägigen Fahrt von Bonn nach Wilkowischken (heute: Vilkaviškis, Litauen), wo er 6. Juni 1915 ankam. Hier übernachtete er in der örtlichen Synagoge auf dem Boden.

Vermutlich in dieser Synagoge übernachtete Musketier Dinkeldein am 6. Juni 1915. Sie wurde nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 zerstört.
Karte der Front gegen Russalnd vom 13. Juli bis Ende 1915 [Ausschnitt] (Aus: Der Weltkrieg. 8. Band). Südwestlich von Kowno war Musketier Dinkeldein in Mariampol eingesetzt.

Am 7. Juni 1915 marschierte seine Einheit dann an die Front nach Mariampol (heute: Marijampolė, Litauen), wo sie an der Front eingesetzt wurde. Bis zum letzten Eintrag des Kriegstagebuches am 27. Juni 1915 hat Musketier Dinkeldein dort seinen Dienst versehen. Von einem Orts- oder Stellungswechsel berichtet er nicht.

Auf der letzten Seite des Kriegstagebuches hat Musketier Dinkeldein einen Bericht über das Leben im Schützengraben begonnen, der am Ende der Seite mitten im Satz abbricht. Die weiteren Seiten des Kriegstagebuches sind verloren gegangen oder wurden aus uns unbekannten Gründen entfernt. Von diesen nicht mehr vorhandenen Seiten zeugen noch die perforierten Rest.

Tagebuch

Erste Seite des Kriegstagebuches. Links sind der Namenseintrag Musketier Dinkeldein Landw. Inf. Reg. 29 Bonn a/Rhein sowie weitere Notizen zu erkennen.

Am 2. Juni 1915 zog ich zum zweitenmal ins Feld, nachdem ich 8 Wochen in Bonn war beim Ersatzbataillon. Diesesmal gehts nach Rußland u. zwar zum Landwehrreg. No. 29.

Am 2.VI. vorm. 11 Uhr fuhren wir in Bonn ab. Köln Elberf. Barmen Magdeb. Berl. Posen. Am 4.VI. 1915 vorm. 9.20 Grenze bei Skalmierzyce. Die erste russische Station war Kalisch. Nachm. 3 Uhr haben wir Lodz passiert, sehr viel Industrie hier viel beschädigt ist hier nicht, außer einigen Fabriken[,] welche schwer mitgenommen sind. Weiterfahrt nach Koljuschki [heute: Krolestwo, Polen] 1 Std. Aufenthalt (Verpflegung[)]. Von hier aus gings wieder zurück nach Lodz u. dann nördlich Gnesen Thorn, sehr befestigt. Am 5.VI.15 nachm. 2.35 überfuhren wir die Weichsel bei Thorn. Nachts ½ 12 Uhr kamen wir nach Allenstein, wo wir verpflegt wurden. Weiterfahrt nach Königsberg, wo wir 6.VI. 1915 vorm. 9.15 ankamen u. gespeist wurden. Abends ½ 7 Uhr kamen wir am Ziele an in der russischen Stadt Wilkowischken [heute: Vilkaviškis, Litauen]. Hier schliefen wir auf dem Boden in der Synagoge. Das Lager war allerdings sehr hart, aber ich habe trotzdem gut geschlafen. Von den berühmten Läusen habe ich noch nichts verspürt. Die Leute sind sehr arm hier. Sie bieten den Soldaten alles mögliche an, lauter deutsche Ware, wie sie sich ausdrücken.

7.VI. morgens Empfang von Lebensmitteln. Nachm. 12 Uhr Abmarsch nach Mariampol [heute: Marijampolė, Litauen][,] wo wir abends 8 Uhr ankamen. In einem früheren Hotel haben wir geschlafen[,] aber sehr dabei gefroren.

8. morgens 3 Uhr Weitermarsch an die Front 3 km hinter d. Front Einteilung zum Bataillon u. dann zur 5. Komp. Nachm. 2 Uhr Ankunft bei der Reservestellung.

Bemerkenswert sind die vielen Entlausungsanstalten, welche in jedem Dorfe u. jeder Stadt zu sehen sind u. besonders die schlechten Straßen[,] man muß beim Gehen beständig auf den Boden sehen, sonst könnte man ganz zufälligerweise den Hals brechen.

Nach der Ankunft kochten wir uns Erbsen u. Konservenfleisch (schmeckt gut). Beginn des Baues unseres Unterstandes. Wir arbeiten fest drauf los bis 10 Uhr abends[,] wurden aber nicht ganz fertig. Diese Nacht schliefen wir in einer zerfallenen Scheune, haben aber sehr gefroren. Die Artillerie schoß die ganze Nacht [,] aber trotzdem habe ich geschlafen wie ein toter. Waschgelegenheit haben wir in einem kleinen schmutzigen Teich. Nur das Trinkwasser ist schlecht, unabgekocht ist es nicht genießbar.

9.VI. Ein schöner Sommermorgen ist angebrochen[,] feierliche Stille, nur von einzelnen Schüssen unterbrochen. Wir kochen uns Kaffee u frühstücken auf dem Rasen wie die Zigeuner. Es beginnt die Weiterarbeit am Unterstand, der um die Mittagszeit fertig wird. Um 12 Uhr Mittagessen[,] das wir von der Feldküche bekommen u. sehr gut ist. Überhaupt ist die Verpflegung tadellos, besser als in der Kaserne.

10.VI. Abends 8 Uhr Abmarsch in die vorgeschobene Stellung zum Schanzen. Ich meldete mich freiwillig auf Horchposten[,] während die andern schanzten. Auf dem Horchposten war es sehr gefährlich. Andauernd pfiffen mir die Kugeln um die Ohren. Aber Gott ließ es nicht zu, daß ich getroffen wurde. Gegen Morgen glückliche Rückkehr. Den übrigen Teil des Tages frei. Ich nahm ein Bad in dem nahen Teich (sehr angenehm). Abends 7 Uhr Abmarsch zum Schanzen in sehr gefährliche Stellung. Wir bekamen Feuer von feindl. Feldwache, kamen aber alle zurück in unsern Unterstand[,] welcher mit 20 Mann belegt ist.

11.VI. Morgens 9-11 Uhr Arbeiten am Laufgraben bis abends frei.

Nachts von 7-12 Uhr Schanzen, wobei wir wieder schwer befeuert wurden.

12.VI. Morgens 7-11 Uhr schanzen bis abends frei. Mittag wurden wir schwer beschossen von feindl. Artillerie, als wir es uns gerade auf dem Rasen gemütlich machten. Die Geschosse schlugen aber alle 150-200 [Meter?] hinter uns ein, trotzdem mußten wir uns in den Unterstand flüchten. Aber unsere Artillerie hat es ihnen auch heimbezahlt. Um ½ 8 Uhr wieder Abmarsch zum Schanzen[,] während unsre Artillerie  in allernächster Nähe ihre Salven abgeben. Die Nerven wurden schwer dabei mitgenommen, trotzdem man sich in Sicherheit weiß[,] wenn unsre Artillerie schießt, aber ein solcher Knall läßt einen unwillkürlich zusammen fahren.

13.VI. Ein windiger Sonntagmorgen ist angebrochen[.] Von 8-11 Uhr gings wieder zum Schanzen in Reservestellung. Ich meldete mich freiwillig auf Lauscherposten. Diese Nacht vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht. Um 10 Uhr abends zogen wir auf. Es regnete u. ein kalter Wind wehte. Als wir an das Lauscherloch kamen[,] war dasselbe zugeschüttet. Nun krochen wir im heftigsten Kugelregen auf dem freien Gelände herum u. suchten uns eine Deckung. Endlich fanden wir eine solche in einem Graben, wo wir uns hineinsetzten. Wir waren unser 4 Mann. Anfangs waren wir ziemlich sicher[,] denn die Kugeln pfiffen über unsre Köpfe weg. Aber nach einer halben Stunde gings los. Rechts u. links schlugen die Kugeln ein von 3 Seiten bekamen wir Feuer. Die russischen Maschinengewehre knallerten, unsre Truppen warfen Bomben, welche die Erde erzittern machten. Die Scheinwerfer suchten das Gelände ab[,] Leuchtkugeln auf dazwischen der Knall der Kanonen, Bomben u. Gewehre. Es war ein schauerlich interessantes Schauspiel. Wir lagen zusammengekauert frierend in unserm Loch, denn es bot uns nur einigermaßen Deckung. Um halb 12 Uhr sollten wir abgelöst werden. Aber die Ablösung konnte nicht weiter vor wegen dem Feuer. Ein Gefreiter[,] welcher uns Bescheid bringen wollte, wurde an der Schulter ganz leicht verwundet. Dadurch konnte er nicht zu uns gelangen. Wir blieben im unserm Loch bis der Tag graute. Dann gingen wir zurück. Ich hatte so steife Glieder[,] daß ich zweimal hinfiel[,] doch kamen wir glücklich im Graben an, wo sich die andern uns wunderten, daß wir so gut davonkamen. Ich kann meinem Gott nicht genug danken für die glückliche Rettung. Es war eine schreckliche Nacht u. werde sie auch nie vergessen. So arg wurde noch nie geschossen seit meines Hierseins. Aber ich lebe noch u. danke meinem Gott dafür u. bitte Ihn, auch meine Mutter u. alle meine lieben Angehörigen zu beschützen.

14.VI. Wir schlafen von morgens 3 bis gegen 10 Uhr u. haben frei bis abends. Um ½ 8 Uhr Antreten zum Schanzen an gefährlicher Stelle. Um 11 Uhr rücken wir ab u. kamen glücklich zurück.

15.VI. Beim Antreten um 8 Uhr wurde ich bestimmt zum Balkentragen für einen Offiziersunterstand. Wir waren gerade an der Arbeit, als ein Bote kam und meldete, wir müßten uns sofort fertig machen zum Abrücken. Sofort gingen wir zum Unterstand u. nach schleunigstem Zusammenpacken unsrer Sachen rückten die versch. Komp. ab. Zur Sicherheit vor d. feindl. Artillerie wird gruppenweise marschiert. Weitermarsch halbrechts querfeldein. Nach einer Weile Halt vor einer kleinen Anhöhe. Die Gewehre werden zusammengesetzt, Gepäck abgelegt. Dann kam die liebe Feldküche u. brachte uns Erbsen mit Speck. Bald nach beendeter Mahlzeit rückten wir heimwärts. Die Russen schießen mit Schrappnels, jedoch ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Gegen 3 Uhr kamen wir zurück in d. Unterstand. Der Zweck des Marsches soll gewesen sein, die zu erwartende Reserve eines Nachbarregiments zu ersetzen falls es nötig sein sollte. Offenbar war es unnötig gewesen. Abends 7 Uhr Antreten zum Abrücken in den Schützengraben, wo wir die Reserve bilden[,] falls die Russen einen Angriff machen sollten. Nach gemütlichem Schlaf im Unterstand rückten wir beim Morgengrauen wieder heim.

16.VI. Nach dem Aufstehen kochen wir uns Kakao. Abends ½ 8 Uhr Abrücken in den Reservegraben. Wir bekommen lebhaftes Flankenfeuer. Beim Tagwerden Rückkehr.

17.VI. Wir schlafen bis gegen 11 Uhr, Apell mit der eisernen Portion. Nach dem Mittagessen Befehl zum Packen[,] um in den Schützengraben zu rücken. Nach beschwerlichem Gang durch den langen Laufgraben erreichen wir das unsere angewiesenen Grabenstücke. Ich erhalte mit meinem Kameraden Karl Kriechbaum aus Rohrbach b/K. einen Unterstand, in dem man einigermaßen wohnen kann, er hat mehr das Aussehen einer Höhle. Abends von 11-1 Lauscherposten. Die Nacht vergeht mit der üblichen Schießerei.

18.VI.15 Morgens ½ 3 Uhr Kaffeekochen mit Frühstück. Dann Schlaf bis 10 Uhr[,] von 12-2 Uhr Posten. Kriechbaum fängt an einen Brunnen zu bohren. Die Nacht verging wie gewöhnlich.

19.VI. Nach dem Kaffeetrinken[,] de wir uns natürlich immer selbst kochen[,] Schlaf bis 11 Uhr. Nachm. habe ich Holz für unsern Brunnen auszuschalen u. zum Feuermachen in einem Gehöft[,] von 6-8 Uhr Postenstehen. Die Nacht ist dunkel, kalt u. regnerisch[,] geschehen wird wenig.

20.VI. 15 Nach dem Frühstück Schlaf bis ½ 8 Uhr. Posten von 8-10. Ich bin an der Reihe zum Essenholen. Es ist jedesmal eine beschwerlicher ¾ stündiger Gang[,] bis man an die Stelle kommt, wo die Feldküche anfährt. Bei dem Rückweg hänge ich die 4 Eßgeschirre auf den Rücken u. verschnüre meinen ganzen Rock, worüber sich die Kameraden höchst amüsierten. Nach dem Essen ausruhen. Ich denke mit Sehnsucht an die liebe Heimat u. an die lb. Angehörigen. Dabei schlafe ich ein. Gewaschen habe ich mich heute auch wieder mal seit 3 Tagen[,] denn unser Brunnen, der jetzt fertig ist, liefert mir soviel Wasser als man zum Kochen braucht. Beim Essenholen bot sich mir Gelegenheit zum Waschen. Denn bei der Feldküche ist ein schöner See. Vergl. das Leben im Schützengraben.

21.VI.15 Von gestern abend bis heute morgen durfte ich schlafen bis ½ 3 Uhr[,] denn ich habe Tagesposten 1 Nummer, dieselbe steht von ½ 3-6 Uhr u. darf deshalb schlafen. Es ist ein herrlicher Sommermorgen[,] die Vögel zwitschern so schön wir in der Heimat[,] ab u. zu fällt ein Schuß. Soeben fliegt ein feindl. Flieger über mir weg u. wird von unsrer Artillerie beschossen. In der darauf folgenden Nacht durfte ich wieder schlafen, weil ich freiwillig auf Lauscherposten ging von 9-11[,] Uhr da konnte ich dann schlafen bis zum nächsten Morgen 6 Uhr.

22.VI.15 Von 6-8 Uhr Posten. Während dieser Zeit koch ich mir Kaffee u. frühstücke. Darauf rauche ich eine Zigarre, die ich am Tage vorher von meiner lieben Muttererhielt u. die mir umso besser schmeckt, da sie doch von der lieben Heimat ist. Dann legte ich mich aufs Stroh u. schlief selig bis nachm. 2 Uhr. Ich flicke meine zer[r]issenen Kleider u. dann heißt es umziehen in die Stellung weiter links. Hier machte ich mich mit vollem Eifer daran unsern neuen Unterstand einigermaßen herzurichten, der sehr verwahrlost aussieht. In meiner Nähe explodiert eine Handgranate[,] durch die ein Kamerad getötet wurde.

23. Um 2 Uhr morgens Wasserholen auf gefährlichem Weg in einem nahen Gehöft, wo ich auch gleich Stroh für unsern Unterstand mitnahm. Dann Frühstück. Darauf erledige ich einige Korrespondenzen u. lege mich schlafen. Die Russen sind heute ziemlich brav, sie schießen nicht viel. Nachm. koche ich mir mit meinem Kameraden Kriechbaum einen guten Kakao, den ich von meiner Luise erhielt. Wir beide Kriechbaum u. ich[,] teilen überhaupt alles miteinander. Abends 9-½ 12 Uhr Lauscherposten. Die Russen sind besonders gut aufgelegt. Man hört sie in der Ferne singen u. ihre Musikkapelle spielen wirklich schöne Märsche.

24. Nicht besonders.

25. Die Russen schanzen u. werden von uns heftig beschossen. Im übrigen war alles ruhig. Abends Lauscherposten.

26. Ich habe die Nacht durch von ½ 12 Uhr ab gut geschlafen. Aber um 3 Uhr mußte ich schon wieder auf Posten. Nachm. 12 Uhr Essenholen. Den Nachm. vertreiben wir uns durch Kartenspielen.

27.VI. Der Tag verlief ohne besonderen Zwischenfall.


Das Leben im Schützengraben hat viel Schönes[,] aber auch manches Unschöne an sich. Seit 17.VI.15. bin ich nun im Graben. Jede Gruppe befindet sich in der Nähe ihres Führers. Die Unterstände sind für diese Jahreszeit ganz gut bewohnbar. Wir liegen zu zweien in einem solchen. Es gibt aber auch welche[,] in denen 3-6 Leute wohnen können. Unsre Tätigkeit ist die: Die [Rest fehlt]

Am Ende des Tagebuches finden sich mehrere Namenseinträge von Musketier Dinkeldein. In einem dieser Einträge wird als Regiment Ersatz Bataillon No. 160 Bonn a/Rh. angegeben. Auf der rechten Seite ist zu erkennen, dass zahlreiche Seite aus uns unbekannten Gründen entfernt wurden. Das Kriegstagebuch bricht mitten im Satz ab.
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