Richard Grimm war in der zweiten Hälfte des Jahres 1940 beim SHD (Sicherheits- und Hilfsdienst) in Hamburg tätig. Der SHD war ein Aufgabenbereich des Luftschutzes, der im Deutschen Reich für den Einsatz nach Luftangriffen ab 1939/40 aufgebaut wurde. Das Aufgabenspektrum umfasste neben der Brandbekämpfung auch sanitätsdienstliche und technische Hilfeleistungen sowie Entgiftungseinsätze. Der SHD lag im Verantwortungsbereich der Polizei. Die Angehörigen des SHD waren vom Wehrdienst befreit. Im „Forum der Wehrmacht“ wird in einem Beitrag angemerkt, dass es den Angehörigen des SHD nicht erlaubt war, einer zusätzlichen Beschäftigung nachzugehen. Allerdings arbeitete Richard Grimm auch während seines SHD-Dienstes weiterhin für die Firma H. Landmann & Söhne.
Richard Grimm war verheiratet mit Thekla und sie hatten drei Kinder: Margret, Klaus und Werner. Im Sommer 1940 ist Thekla mit den Kindern zu seiner Mutter umgezogen, wie er in seinem Brief vom 13. Oktober 1940 erwähnt. Ein Briefumschlag mit Stempel vom 16.10.40 ist adressiert an Thekla Grimm, Hamburg Volksdorf, Wiesenhöfen No. 3 bei Reuter. Dies war vermutlich die Adresse seiner Familie.
Als Absender ist SHD: R. Grimm, Hbg.-Wandsbek, Bleicherstrasse 59, Goetheschule angegeben. Dort war er also beim SHD tätig. Später war er auch in der Feldstraße eingesetzt.
An der Adresse Bleicherstraße 59 in Wandsbek war von 1922 bis Ostern 1940 die Freie Goethe-Schule aktiv. Dies war eine Waldorfschule, die ihren Betrieb Ostern 1940 durch den Druck des NS-Regimes einstellen musste. Alle Lehrkräfte wurden zum Hilfsdienst im Haupternährungsamt einberufen, so dass eine Fortführung des Schulbetriebes unmöglich war.
Das Schulgebäude stand somit zur Verfügung und wurde dann spätestens ab Sommer 1940 vom SHD genutzt.
Neben seinem Dienst beim SHD war Richard Grimm auch noch für die Firma H. Landmann & Söhne tätig. Dies war eine im Jahr 1938 arisierte Firma, die mit Hopfen handelte. Der Firmensitz war in Fürth, eine Außenstelle An der Alster 35 in Hamburg. Inhaber der Firma waren bis zur Arisierung Siegfried und Hans Landmann. Erwerber der Firma war Otto Bieling.
Siegfried Landmann (*1877 in Fürth) floh 1938 nach Schweden und ging dann 1939 nach Brasilien. Sein Bruder Hans Landmann (*1880 in Fürth) floh 1938 in die Niederlande und noch vor der deutschen Besetzung weiter nach Schweden, wo er 1950 verstarb.
Im Hamburger Fremdenblatt (Abend-Ausgabe Nr. 285, S. 4) vom Dienstag, 14. Oktober 1941 wird eine Veränderung im Handelsregister erwähnt: „[…] Die bisherige Firma wird neben der neuen Firma Otto Bieling K.G. mit dem Nachfolgezusatz fortgeführt als H. Landmann & Söhne, Otto Bieling Nachf. K.G.„
Richard Grimm erwähnt seine Tätigkeit für die Firma H. Landmann & Söhne an mehreren Stellen und auch ein von ihm verwendeter Briefumschlag verweist auf diese Firma, denn auf der Rückseite ist die Firmenadresse aufgedruckt. Welche Funktion er genau hatte, geht aus den Briefen nicht genau hervor. Fest steht, dass er Überweisungen tätigte und die Firmenpost bearbeitete.
Das weitere Schicksal der Familie ist unbekannt.
Insgesamt sind elf Briefe vom 9. Juli bis 22. Dezember 1940 überliefert.
Rechtschreibung und Zeichensetzung der Briefe wurden übernommen.
- Juli 1940
Hbg-Farmsen, 9.7.40
Liebe Mutti!
Ich kann Dir heute durch Franz Duve ein kleines „Anbei“ übersenden. Das Feinbrot ist schon von Freitag, vielleicht kannst Du es Hofmanns geben, da Ihr ja noch genügend habt. Die Kruke mache bitte sauber.
Der Rotwein ist für Mutter bestimmt, die Sukkade zum Backen; Das Stück Fleisch ist dänisches Bacon-Fleisch (Schweinefl.) frisch von gestern, schmeckt gut zu Euren Bohnen. Backpulver habe ich auch bekommen; Zucker auch.
Das Wetter ist ja heute herrlich; ich werde mich heute mittag bis 20 draussen sonnen; von 2-40 habe ich wieder Wache! Heute abend rufe ich bei Euch an. Ist Werner mit seinem Stuhlgang wieder in Ordnung?
Jetzt gehen wir gleich zum Essen; mein Magen knurrt schon. Meiner Erkältung geht es besser.
Herzliche Grüsse Euch Allen und einen Extrakuss von Deinem getreuen Männe
13. Oktober 1940
Hamburg-Farmsen, den 13. Okt. 40.
Meine liebe Thekla!
Es ist jetzt 7 Uhr abends und Du sollst jetzt von Zeit zu Zeit, ausser unseren telefonischen Unterhaltungen, auch briefliche Nachrichten von mir erhalten, damit du weisst, was ich tue und treibe und welche Gedanken mich bewegen. Es soll kein Rechenschaftsbericht sein, mein Deern, denn ich glaube doch, dass Du mir allmählich Vertrauen schenken wirst, sondern diese Zeilen sende ich Dir aus freien Stücken, vielleicht dass sie Dich ein wenig aufheitern und Zerstreuung bringen werden.
Unser Gespräch von heute nachmittag hat mich natürlich sehr betrübt und nachdenklich gestimmt, dass Euch Werner einen dicken Strich durch die Rechnung mit seinem Fremdsein gemacht hat. Aber ich hoffe bestimmt, dass sich dies in ein paar Tagen, vielleicht schon heute nacht geben wird, dass er sich dann an die neue Umgebung gewöhnt hat.
Meine liebe, gute Thekla, Du musst nicht alles so furchtbar schwer nehmen, denn vor allen Dingen musst Du Dich unseren Kindern gesund erhalten, denn was sollen die armen Würmer anfangen, wenn Du auf der Nase liegst; Omi ist doch nicht mehr kräftig genug, sich um die Erziehung von 3 Kindern zu kümmern. Also Kopf hoch; es wird schon alles wieder besser werden, und, wie Du neulich selbst sagtest, man weiss nie, wozu es gut ist, was einem das Schicksal auferlegt.
Ich habe es doch nur gut gemeint mit dem Umzug zu Mutter, weil Du erstens nicht so allein abends sein sollst und zweitens natürlich auch wegen der sicher noch zu erwartenden Luftangriffe bei Nacht; gestern abend war übrigens von 220 bis nachts gegen 3 Uhr Luftgefahr, Alarm wurde aber nicht gegeben.
Dass ich diese Zeilen mit der Hand schreibe, geschieht aus zweierlei Gründen, einmal weil ein mit der Hand geschriebener Briefe persönlicher wirkt; es soll Dir einen Teil meines Ichs übermitteln, auf dass er Deine „Einsamkeit“ (trotz unserer Dich sicher in Atem haltenden beiden Buben) ein wenig aufhelle; andererseits will ich auf einem Sonntag abend nicht mit der Maschine zu klappern anfangen, und drittens kann ich den Brief, wenn ich ihn hier in meiner Ecke mit der Hand schreibe, vor unberufenen Augen der Kameraden schützen.
Meine liebe Mutti; ich muss jetzt (1925 Uhr) auf einen Augenblick unterbrechen, Hein Borger bringt soeben den heissen (aufgewärmten) Abendkaffee; ich will dabei auch essen; Ihr werdet wohl schon in Eurer neuen, doch auch ganz gemütlichen Behausung Euer „Abenddiner“ intus haben.
Dass Franz, der getreue Paladine, wieder da ist, sagte ich Dir bereits am Telefon, was für Dich eine grosse Beruhigung ist, wenn es auch mir einen kleinen Stich gibt, in Hinblick auf das noch mangelnde Vertrauen. Aber den will ich gern einstecken, mein Muttchen, wenn es Dich beruhigt, und ich selbst muss auch sagen, dass mir Franz Duve der angenehmste und zuverlässigste Kamerad ist, nicht nur weil ich ihn vom September 1939 her kenne, sondern weil er auch ein vernünftiges Wort reden kann. Er lässt Dich auch jedes Mal grüssen, wenn ich auf Urlaub gehe.
Gestern abend bin ich hier mit meinem ganzen Gepäck gut, wenn auch ziemlich verschwitzt, gelandet, und daher rührt auch mein eintägiger Schnupfen her, der heute abend schon wieder im Abklingen ist. Letzte Nacht habe ich zeitweise stark gehustet, aber es scheint doch, als wenn die Drops, die Du mir besorgtest, etwas geholfen haben. Um 5 Uhr heute früh wurde ich dann geweckt (von Bernhard Franck, der von 3-50 Aussenwache bei den Fahrzeugen hatte), um meinen Telefondienst anzutreten. Die 2 Stunden vergehen verhältnismässig schnell: 2 illustrierte Zeitschriften, die Abendzeitung verdaut, und zum Schluss Kasse gemacht.
Während meiner Urlaubszeit hat mich Jankowski am Telefon vertreten. Ob ich nun hier dauernd von den Aussen-Nachtwachen entbunden bin, was ja sehr angenehm wäre bei der vorschreitenden Jahreszeit, weis such noch nicht. Jedenfalls habe ich morgen vormittag von 9-110 wieder Telefondienst. Blankenburg hat inzwischen einmal nachts und einmal am Tage Unterkunftswache gehabt.
Heute morgen nach dem Kaffee – von 7 bis 7 ¾ Uhr hatte ich mich nochmal wieder hingelegt – habe ich erstmal die noch unerledigte Post abgelegt und die Aufträge eingetragen. Post war gestern abend schon für mich da, aber nur Hamburger Post, nicht von Fürth. Ab 1130 habe ich die Morgen-Zeitung gelesen, und um 12.25 sind wir zum Essen abmarschiert; es gab heute Rotkohl, Rindfleisch & Kartoffeln, vorweg eine salzige Brühe und hinterher einen schönen Pudding.
Sonst ist das Essen während der letzten 8 Tage ziemlich mies gewesen. Am Sonnabend haben sie sich alle über das Zubrot (ausgekochtes Rindfleisch) beschwert. Auch die sogenannte „Gekochte“ war heute sehr fettarm. Nach dem Essen habe ich „der Ruhe gepflegt“, fast zu lange, da ich mit entsetzlichen Kopfschmerzen um ½ 40 aufwachte. Draussen suchte ich für kurze Zeit Kühlung und Linderung, aber das ungemütliche Wetter zwang mich bald zum Umkehren an die „festliche Kaffeetafel“ in unserem Ess- und Schlaf-„Salon“; ein ziemlicher Gegensatz zur vorigen Woche, wo wir trotz der Arbeit doch stets eine gemütliche, „Vesper“ hielten. Aber ich will nicht klagen und Dir das Herz schwer machen, denn für Dich ist die Trennung doch härter, mein Medl, das sehe ich ein; denn die rauhen Männernaturen lassen es nicht zu, für längere Zeit trüben Gedanken nachzuhängen.
Bis zum Dunkelwerden habe ich gelesen in der „Menschlichen Tragikomödie“ von Scher, (die 2 Bände, die ich von Scheln zum letzten Geburtstag erhielt) und dann diesen Brief zu schreiben begonnen. Die Uhr geht jetzt auf 210. Ich mache einstweilen Schluss und sage Dir herzlich Gute Nacht, mein liebes Weibi; hoffentlich habt Ihr eine ruhige Nacht in Bezug auf Werner und die Sirenen, damit Ihr morgen mit frischem Mut Euer Tagewerk beginnen könnt.
Glaube mir, der Übergang ist immer das Schlimmste, und morgen wird es bestimmt schon besser gehen.
Grüsse bitte Margret und Klaus und auch Werner recht herzlich von ihrem Pappi, auch Mutter natürlich, und Klaus soll mir nächstes Mal erzählen, was er im Kino gesehen hat. Und Du selbst, mein Medl, sei innig umarmt von Deinem stets Dein gedenkenden Richard
Dein kleiner Liebesbrief hat mich trotz der Kürze sehr erfreut und ist auch ein Anlass zum heutigen Schreiben mit gewesen. Franz liest augenblicklich „Krösus Vagabund“ und sieht und hört nicht von der Mozart´schen schönen, wenn auch etwas schweren Musik und der angeregten Unterhaltung; wir sind alle hier, bis auf Blankenburg; ich werde mich noch für eine halbe Stunde zu Franz setzen und auch lesen. Soeben kommt der Hauptwachtmeister herein und meldet die Anwesenheit des Majors hier in Farmsen, vielleicht dass er auch noch zu uns kommt.
15. Oktober 1940
Hamburg-Farmsen, den 15. Oktober 1940 330 morgens
Meine liebe Thekla!
Ich hoffe, dass mein erster Brief gestern nachmittag noch rechtzeitig in Deine Hände gelangt ist. Du, oder derjenige, die die gerade den Brief angenommen hat, wirst Dich wohl über die Art der Zustellung gewundert haben. Da aber der junge Mann de als Maurer schon seit Anfang an bei uns beim Bau des Luftschutzkellers tätig ist, ganz in der Nähe von Mutter, Im alten Dorfe wohnt, erklärte er sich gern bereit, die Besorgung des Briefes für mich zu übernehmen. Auf diese Art gelangtest Du einen Tag früher in den Besitz meiner Zeilen, die, wenn sie auch nichts Wichtiges enthalten, Dich vielleicht doch erfreut haben.
Während ich diese Zeilen schreibe, schlaft Ihr Alle hoffentlich ungestört dem neuen Tag entgegen. Ich sitze hier im Rektorzimmer wieder meine Telefonwache von 3-5 Uhr ab. Ja, mein Kind, diese Nacht haben wir noch nicht viel Ruhe gehabt. Ihr werdet wohl auch um 2150 Uhr durch das Sirenengeheul aufgeweckt worden sein, ich lag gerade ¼ Stunde im Kahn, genau so erging es allen Andern auch; Bode wollte gerade das Licht ausdrehen und die Vorhänge aufziehen, um zu lüften, als der Alarm uns wieder aus den Betten holte. Die Schiesserei war ja nicht schlimm, wenn sie sich auch fast 1 ½ Stunden hinzog, und die Entwarnung um 2350 Uhr liess uns natürlich Alle wieder schleunigst in die Koje kriechen. Doch der Traum war kurz, um 135 Uhr ertönten aufs neue die Sirenen; wieder raus aus den Betten, hinein in die Hosen, um uns um 2 Uhr abermals aufs Ohr zu legen. Hoffentlich lassen sie uns jetzt in Ruhe, denn um 220 wurde erneut Luftgefahr durchgegeben, die bisher (355) noch nicht aufgehoben wurde.
Und wie habt Ihr den gestrigen Tag verlebt? Na, das erfahre ich ja heute mittag, wenn ich wie versprochen bei Dir anwecke. Hoffentlich ist dann auch solch schönes Herbstwetter wie gestern; solche Tage müsst Ihr ausnutzen. Schade nur, dass vergangene Woche nicht mal so ein Tag dazwischen war. Na, aber darum war die Ferienwoche doch schön, nicht mein Medl; trotzdem wir beide nicht die Hände in den. Schoss legten, haben wir doch viel von einander gehabt.
Vom gestrigen Tag ist eigentlich nicht viel zu berichten. Eine Tasse mit blau-goldenem Rand habe ich gestern mittag in Farmsen erstanden für 45 Pfennig! Während der Mittagsruhe bis 3 Uhr habe ich mich lang gemacht und einen leichten Unterhaltungsroman in Heftform angefangen zu lesen, den ich gestern abend dann auch schon durch hatte. Von 3 bis ½ 5 Uhr hatten wir Unterricht über Grusspflichten der Polizei und des SHD. Zum Kaffee wurden 3 Scheiben Honig-Brot (kein Honig-Kuchen) verdrückt, und anschliessend draussen in der Sonne an einer geschützten Stelle am Haus habe ich den Aufsatz aus der Menschlichen Tragikomödie über Kaiser Maximilian von Mexico beendet (ganz solo im Kasten, ohne Belästigung!)
Übrigens bereiten sich bei uns auch irgendwelche Veränderungen vor, die auch für uns von Bedeutung sein können. Ich sage: können, weil Positives noch nicht raus ist. Mit der vorrückenden Jahreszeit muss nämlich für unsere Fahrzeuge, die bisher Tag und Nacht bei Wind und Wetter draussen standen, eine Unterkunft besorgt werden uns das ist ein Problem, das wegen Raummangels nicht so leicht zu lösen ist. Der Führer der Kraftfahrstaffel war gestern bei uns, um die Sache in die Hand zu nehmen. Die Turnhalle als Autogarage kommt nicht in Frage wegen des linoleum-belegten Fussbodens. Auf dem gegenüber liegenden Hof von Krogmann kann auch kein dementsprechender Raum (für 3 Wagen und 2 Krafträder) freigemacht werden. Nun ist die Motorsportschule der SS in Berne (von Farmsen aus gleich links am Eingang der dunklen Waldstrecke) gestern nachmittag zu dem Zweck besichtigt worden.
Weiteres steht noch nicht fest, besonders in Bezug darauf, was alle, falls uns diese Räume, die angeblich jetzt leer stehen sollen, zur Verfügung gestellt werden, nach dorthin verlegt wird; ob nur die Kraftfahrer, oder das ganze Sofortkommando; man sagt sogar („man“) dass dann auch die Feuerwehr dorthin übersiedeln soll, da auch deren Wagen und Geräte bisher den Unbilden der Witterung stets ausgesetzt waren. Wie gesagt, ich will Dir noch keine Hoffnung machen, dass wir von der Rettungsstelle getrennt werden; aber irgend etwas muss geschehen. Die Entscheidung fällt natürlich nicht von heute auf morgen, man muss für alles, was von oben kommt, Geduld haben.
So mein Medl, das wäre für heute morgen (es ist jetzt 440 so ziemlich alles, was ich Dir zu erzählen hatte. Diesen Brief werde ich wohl heute durch die Post befördern lassen, nachdem ich mit Dir telefoniert habe. Ich will jetzt noch eine Viertelstunde lesen und mich dann noch für 2-3 Stunden hinhauen. –
Einstweilen herzlichen Gruss und Kuss von Deinem Männe!
Abends, um 190 Uhr
So, mein Deern, nun wollen wir schnell noch ein paar Zeilen schreiben. Das war heute ein aufregender Tag, und wer weiss, was noch folgt. Ja, das war eine Überraschung heute vormittag, als es durchsickerte, dass wir versetzt werden sollten; es hiess zuerst, wir kämen nach der Feldstrasse, eine halbe Stunde später verkündete der Wachtmeister, dass wir heute abend um 21 Uhr versetzt würden. Das gab natürlich grosses Hallo. Vorher hatte ich schon, wie ich dir bereits am Telefon mitteilte, mit Blankenburg auf dessen Wunsch verabredet, dass ich morgen früh von 7-120 Uhr für ihn Urlaub nehme und er dafür meinen Urlaub am Montag morgen antritt. Na, das kommt so nun vielleicht noch ganz anders und wird sich erst herausstellen, wenn wir in der Bleicherstrasse sind. Ob das Problem mit der Motorsportschule Berne noch starten wird, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Jedenfalls kommt eine Gruppe aus der Bleicherstrasse hierher und wir dafür dorthin. –
Eben habe ich Abendbrot gegessen; es ist 20 Uhr. Alle sind in Bewegung und packen ihre letzten Sachen zusammen. Die Hauptsache haben wir schon heute nachmittag gepackt. Jeder hat mindestens 2 grosse Bündel; ich habe allein 4 „Päckchen“; alle Sachen werden in den Wagen gepackt; wer ein Rad hat, fährt per Rad; die übrigen werden per Auto dorthin expediert. Wir warten nun alle der Dinge, die da kommen sollen; alle Schränke sind leer, alle Betten der schwarzen Decken beraubt, alle Fächer kahl.
Also, liebe Mutti, erstmal Schluss für heute; man kann hier nicht mehr in Ruhe schreiben. Wir sehen uns ja hoffentlich morgen wieder. Bis dahin viele herzliche Grüsse und Küsse von Deinem Dich stets liebenden Richard
16. Oktober 1940
Hamburg-Wandsbek, den 16. Oktober 40 1830 Uhr
Meine liebe Thekla!
Bevor der Briefkasten ausgenommen wird (1915), will ich Dir noch schnell ein paar Zeilen für morgen zukommen lassen. Über die gestrigen Ereignisse bist Du ja durch meine heutige Anwesenheit bei Dir (wenn sie auch leider nur kurz war) im Bilde. Ich lege, wenn sie auch überholt sind, meine gestrigen Zeilen noch bei, da ich vermute, dass sie Dich trotzdem noch interessieren.
Gestern abend sind wir um 2125 (Edel, Jani und ich) von Farmsen abgedampft per Rad, während die übrigen per Auto mit unseren Sachen vorweggefahren waren. Der kleine Trunk bei Mitzingen an dem Adolf Hitler Damm wurde, kaum, dass wir Platz genommen hatten, durch das Sirenengeheul unterbrochen, und als wir kurz vor unserem Ziel in der Bleicherstrasse waren, platzten hinter uns bereits die Flakgeschosse; auch ein Leuchtschirm erleuchtete über Ostwandsbek die ganze Gegend. In der Nacht dann nochmals von 2330 bis nach 1 Uhr Fliegeralarm. Der Schlaf in der ungewohnten Umgebung, mit 14 Mann in einem kleinen Raum, war natürlich auch nicht erquickend. Um 430 war ich einmal hoch, und um 625 bin ich endgültig aufgestanden, um gleich nach der Ankunft Blankenburgs dann Kurs auf Volksdorf zu nehmen.
Heute mittag bin ich kurz vor 1230 Uhr bei Wilhelms angelangt. Es gab an tischtuchbedeckten Tischen (welch ein Gegensatz zu dem düsteren muffigen Saal bei Klinkrad) Fliederbeersuppe mit 2 Griesklössen, Goulausch mit kräftiger Sosse & Kartoffeln und Gurkensalat; letzteres für jeden in einer kleinen Glasschale. Anschliessend bin ich kurz bei Clara vorgewesen; Theo war gerade hoch im Baum und schnitt Aeste heraus; er wollte nicht erst herunterkommen. Die Neuigkeit von Elmshorn ist Euch wohl unbekannt. Die beabsichtigte Fahrt ist wieder nur eine Woche, auf den 27.1040, verschoben worden, weil Amsel am kommenden einer Führerinnen-Tagung oder ähnlich beiwohnen muss. Da ist insofern schade, als dass ich am übernächsten Sonntag kein Urlaub habe, wie alle übrigens nicht. Die Sache ist so geregelt, dass an einem Sonntag die Feldstrasse, am nächsten die Bleicherstrasse „Dienst“ oder sich in Bereitschaft halten muss; am nächsten, kommenden Sonntag, hat die Bleicherstrasse, also wir alle frei von morgens 6 Uhr bis abends 20 Uhr. – Ausserdem komme ich wahrscheinlich am kommenden Freitag um ca. 140 zu Dir bis abends 90. Fein, nicht wahr? Falls ich Dich morgen telefonisch nicht erreichen sollte, komme ich also übermorgen, Freitag, um 140 nach den Wiesenhöfen.
Ja, Mammi, es wird Zeit, dass der Brief fortkommt. Heute nachmittag habe ich erstmal probeweise hier in der Unterkunft Post erledigt, nach Fürth und an die Banken geschickt. Einen Tag muss ich auch mal kurz ins Kontor, um verschiedenes nachzusehen; vielleicht kommst Du dann mal mit, dass wir zusammen uns die Nachmittags-Vorstellung von Jud Süss ansehen!!!
Inzwischen sei Du herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Dir stets treuen Richard
Heute abend wird, falls kein Skat zustande kommt, „Volk ohne Raum“ angefangen!
17. Oktober 1940
Hamburg-Wandsbek, den 17. Okt. 40
Meine liebe Thekla!
Ich will heute noch mal die schriftliche Epistel fortsetzen, um meine Berichte fortlaufend zu ergänzen. Allerdings müssen wir in 10 Minuten unseren „Dienst“, Verbände üben, antreten, von 15-160, und anschliessend bis 170 Wiederbelebungsversuche unter Zugführer Piening. Eigentlich wollte ich heute nachmittag bis 150 schlafen, um den versäumten Schlaf der letzten Nacht nachzuholen; dann bis 115 Uhr haben wir wieder im Luftschutzkeller gesessen. Gestern abend hatte ich gerade das 1. Kapitel vom „Volk ohne Raum“ beendet, als ich von zwei Seiten gewünscht wurde; die beiden Heins (Edel und Berger) wollten mit mir Skat spielen und ein Neuer, Schick, suchte jemand zum Schach spielen. Ich habe mich natürlich für das Letztere entschieden und bis 2130 2 Partien (1:1) durchgefochten. Dann habe ich noch beim Skat zugesehen und wollte mich gerade in meine Gemächer zurückziehen, als Jankowski vom Urlaub mit der Nachricht zurückkam, dass der Hamburger Sender eben bereits wieder abgestellt, also demnach Fliegeralarm zu erwarten sei. Infolgedessen legt man sich garnicht erst hin; nur Bernhard Franck hatte sich schon um 9 Uhr hingelegt. Und richtig, eben nach 100 ging der Tanz los, alles in den Keller, wo sich bald Skat- und Schachecken bildeten. Mit meinem Lesen im „Volk ohne Raum“ wurde des nicht viel, da ich bald zu den zahlreichen Kiebitzen beim Schach gehörte. Gegen Zwölf schoss ich die Dir bekannten, unsympathischen Böcke; meine Augendeckel klappten immer wieder zu; bis auch dieser tote Punkt überwunden war. Gegen 1 Uhr sind einige von uns, darunter Bode, Janki, Bankenburg und meine Wenigkeit, nach oben in unseren Tagesraum gegangen und haben „zu Nacht“ gegessen, denn von der vielen Schiesserei wird man wieder hungrig.um ¼ nach 1 erfolgte die Entwarnung; 5 Minuten später habe ich, glaube ich schon geschlafen, fest bis ¼ nach 60; da war es aus, ein Kribbelhusten reizte mich wieder; am Tage huste ich fast garnicht. Um 7 ½0wurde aufgestanden; Borger, der natürlich schon vorher hoch war, hatte schon die grosse 10 Ltr Milchkanne mit heissem Kaffee, der nebenan in der „Herberge der Heimat“ gekocht wird, geholt, und das Spachteln konnte beginnen.
Es schlägt gerade halbsechs von der nahen Johanniskirche am Marktplatz. Inzwischen haben wir unseren „Dienst“ hinter uns; auch bin ich eben zum Telefonieren gewesen, am Marktplatz, leider vergebens, da ich unter No. 209727 keinen Anschluss bekam. Vielleicht hast Du heute vormittag vergeblich auf meinen Anruf gewartet; ich konnte es aber leider nicht ändern. Heute morgen hatten wir Stubendienst, darunter fallen folgende Räume: unser Schlafraum, unser Tagesraum, der Corridor, eine Treppe, das Arztzimmer, das Geschäftszimmer und der Luftschutzraum. Unser Dienst begann heute morgen infolge des Alarms erst um 100; anschliessend bis 110 Handball auf dem Sportplatz am Gasweg. Um 110 konnte ich auch nicht weg, da jeden Augenblick der Major zur Inspektion kommen sollte; er erschien aber erst um 1230, als wir schon zum Essen waren. Vorher um 1230 hatte ich von der Zelle an der Marktkirche aus noch versucht, Dich zu erreichen, aber nein.
Unser Essen war wieder sehr schön: Frische Suppe mit Nudeln und Karotten, sehr fett, dann Sauerkraut, Kartoffeln und ein schönes Ende Bockwurst. Den Nachtisch habe ich mir dann bei Clara geholt in Form von Apfelmus. Theo war auch da; sie waren gerade mit dem Essen fertig. Wir haben uns nochmal über den Elmshorn-Besuch unterhalten. Ich schrieb Dir gestern schon, dass der Besuch um einen Sonntag verschoben wurde. Auf meine Veranlassung hin soll der Besuch nun erst am Sonntag in 14 Tagen erfolgen, damit Du, mein Deern, an dem Sonntag dann nicht allein bist. Aenderungen vorbehalten, haben wir alle 14 Tage Sonntag Urlaub von 6-200.
Ausserdem würde es Clara am 27. ds. auch nicht passen, da sie dann wahrscheinlich ihren „Konzertabend“ hat.
Ich werde jetzt gleich noch mal versuchen, bei Dir anzurufen, hauptsächlich um Dir mitzuteilen, dass [Ergänzung: ich] morgen (leider) noch nicht komme, sondern erst am Sonnabend die gleicht Zeit von 14-220 infolge der Neueinteilung sind verschiedene Änderungen eingetreten.
Aber mit kommenden Sonntag bleibt es von 6-200.
Soeben habe ich noch zweimal bei Dir anzuwecken versucht, um 180 und um 1820. Damit Du rechtzeitig von meinem Nichterscheinen morgen unterrichtet bist, habe ich bei Butte angerufen; Frau Butte wollte Dir die Bestellung ausrichten. Ich komme aber wie gesagt am Sonnabend. Morgen werde ich um 11-11 ¼0 bei Dir anrufen, dann um 1220, wenn wir zum Essen gehen, und wenn das nichts nützt, um 1715 und 180 noch mal.
Eben habe ich Abendbrot gegessen, 6 Scheiben mit Edamer Käse und Wurst; das Kaffeetrinken nachmittags haben wir uns schon abgewöhnt, da der heisse Kaffee erst um 180 geholt werden kann. Durch das frühe Abendessen bekommt man Nachts dann wieder Hunger.
Ja, mein Medl, die Uhr hat eben 70 geschlagen; ich muss den Brief jetzt beenden, da um 1915 der Kasten geleert wird; dann erhältst Du diesen Brief hoffentlich morgen vormittags.
Wart Ihr gestern mit Kind und Kegel im Keller? Denn geballert wurde ja ganz nett. Hoffentlich braucht Ihr diese Nacht nicht hoch. Aber gute Nacht, meine liebe Frau, liebe Kinder und Omi, seid alle vielmals gegrüsst, und Du, liebe Mutti, herzlichst umarmt von Deinem lieben Männe
22. Oktober 1940
Hamburg-Wandsbek den 22. Oktober 1940
Meine liebe Thekla!
Noch keine 6 Stunden bin ich von Dir weg, und schon sitze ich wieder am Pult, um Dir weitere „Erlebnis-Berichte“ zu übermitteln.
Als erste Neuigkeit diene Dir, dass ich für 8 Stunden wieder abkommandiert bin zur Rettungsstelle oder richtiger zum Sofortkommando I in der Kurzen Reihe, wo ich vergangene Woche bereits einmal war. Ich nehme diesen Posten ja lieber als vielleicht als Ersatzmann nach Farmsen oder Rahlstedt verlegt zu werden. Dies sind hier alles ruhige vernünftige Leute; wo Schach und Skat gespielt wird und Radio zu hören ist. Ausserdem liegt der Raum nach Süden, wo jetzt die Sonne mein graues Haupt bescheint.
Ja, mein Medl, heute morgen war es ja eine ziemliche Hetze, auch für Dich wohl? Bist Du gut nach den Wiesenhöfen gekommen mit Sack und Pack? Margret wird wohl Dir einen Teil per Rad angenommen haben. Für heute nachmittag wünsche ich Euch noch viel Spass mit Frau Hofmann.
Punkt ¾ 90 war ich heute morgen in der Bleicherstrasse, dort gab e natürlich grossen Hallo seitens der Kameraden, von wegen kann von der Frau nicht wegfinden usw. usw. Na, auch das muss ertragen werden; Dienstbeginn war infolge des Alarms erst 9 ¾0; antreten auf dem Gasplatz zum Exercieren, Formschule bis 110
Bei Wilhelms gabs heute „fleischlos“; Heringe in sauer mit Bratkartoffeln, die aber nicht reichten, sodass andere Kartoffeln (ohne Sauce) aushelfen mussten; vorweg eine Kraftbrühe mit Wurzeln und Sternchen-Nudeln und hinterher Kronsbeeren-Kompott mit Pudding. – Zu Clara konnte ich nicht mehr gehen, da ich nach dem Essen gleich hierher musste, um einen Urlauber zu vertreten.
Um beim Urlaub zu bleiben, also der Tagesurlaub ist ab sofort um 2 Stunden abends gekürzt, also bis 200, anstatt bis 220, und zwar infolge der frühzeitigen Angriffe von gestern und Freitag; das ist natürlich bitter für die, die einen weiten Weg von 1 Stunde und mehr. Das Sofortkommando hier steht sich insofern besser, als dass es alle 5 Tage 24 Stunden Urlaub hat; allerdings haben sie Sonntags keinen Urlaub, wie wir alle 14 Tage. – Man munkelt bereits davon, dass der Nachturlaub für alle vollkommen gesperrt werden sol. Na, abwarten, wir haben unseren erstmal gehabt und 9 Tage sind eine lange Zeit, wo noch viel Wasser vom Berge läuft.
Meinen letzten Brief sandte ich Dir, glaube ich, am Donnerstag abend, Dir mitteilend, dass ich statt Freitag erst am Sonnabend zu Dir komme. Am Freitag vormittag hatten wir Sport: Handball auf dem Gasplatz. Mittags war ich bei Clara und habe dort meinen Rucksack abgegeben, den ich am Sonnabend mittag wieder gefüllt mit Äpfel und Birnen wieder abholte. Nachmittags sollten Verbände geübt werden, was genau wie bei uns meistens so vor sich geht, dass der Kasten mit den Übungsbinden auf den Tisch gesetzt wird und im übrigen jeder tut, was er will. Am Sonnabend morgen war, wie ich Dir bereits mitteilte, grosses Revierreinigen mit 3 zerrissenen Feulen [sic!] für das ganze Haus. Es wird monatlich 1 Feudel geliefert! Otto Bode und ich haben wieder unten im Parterre das Zimmer des Arztes und dasjenige des Zugführers Piening vorgenommen, während die anderen, soweit sie nicht zum Kartoffelschälen abkommandiert waren, die oberen Räume zu säubern hatten.
Über unser Treffen in der Stadt am Sonnabend brauche ich mich ja nicht weiter auslassen; es war doch schön, mal wieder bei guter Musik im Alstereck zu sitzen und zu plaudern, als ob noch Friedenszeiten wären. Na, auch das wird vielleicht wiederkommen!
Dass [Ergänzung: ich] von Sonnabend auf Sonntag Wache hatte, sagte ich Dir schon von 10-120 und von 4-60. Die ersten 2 Stunden vergingen sehr schnell, da die Kraftfahrer, in deren Raume das zu bedienende Telefon steht, dort noch 66 spielten. Du siehst, auch dieses Alte-Tanten-Spiel ist selbst bei Männern hier nicht aus der Mode; ich habe dabei das ganze Sonnabend-Freudenblatt durchstudiert; gleichzeitig hatte ich vorher einen 30 Pfg.-Roman angefangen, den ich morgens von 4-50 beendete. Um ½ 50 habe ich einen Kameraden geweckt, der um 6 ¼0 per Bahn nach Rahlstedt fahren wollte; die übrigen wurden von mir um ½ 10 geweckt. Punkt 605 sind Franz Duve und ich dann abgedampft Richtung Volksdorf. Auch dieser Tag, mein Medl, war schön trotz der vielen Allbereien und Quälereien mit den Kindern, wie überhaupt es immer schön sein soll, wenn ich bei Dir bin, nicht wahr?
Unterwegs am Sonntag abend traf ich in Berne Höppner, den ich von der Feldstrasse vom September her kenne. Bis Sonntag mittag hatte er Urlaub, fuhr aber schon jetzt wieder zurück, da er allein in der Wohnung wohl nicht sein mochte. Im Frühjahr ist ihm seine Frau gestorben, sein Junge ist in der Lehre und wohnt bei seiner Schwester. So ist die Wohnung kalt, wenn er nach Hause kommt; wenn er nicht sein Land dabei hätte, das er zu bestellen hat, würde er seinen ganzen Hausstand auflösen. Kannst Du es ihm da verdenken, dass er sich unter diesen Umständen in seiner Gruppe wohler fühlt als zu Hause?
Wenn abends oder nachts Alarm ist, versammeln wir uns oben auf dem Flur, um die anwesende Stärke festzustellen und gehen dann geschlossen in den Keller zu gehen, wo sich gleich Skat-, Schach- und Leseecken bilden. Am Schachtisch wirst Du mich stets finden, um als Zuschauer den Gang der einzelnen Züge zu verfolgen. Man kann dabei, auch wenn der betreffende Spieler kein grosses Schach-Licht ist, immer etwas lernen.
Unter den Kraftfahrern befinden sich verschiedene, die ich wohl so leicht nicht schlagen könnte. Von dem einen Halbjapaner Nischi Scheel, der ein Photogeschäft in der Mönckebergstrasse hat, bin ich schon zu einer Partie aufgefordert worden; es hat sich aber noch keine Gelegenheit geboten. Beim letzten Alarm am Sonntag abend von 21-22.450 spielte er selbst 3 Partien mit einem Kameraden und nachher beim 2. Alarm von ½ 4-620 waren wir alle zu müde, um unseren Geist noch anzuspannen.
Die meiste Zeit habe ich auf einem Tisch an der Wand geschlafen, mich lang gelegt, Gasmaske als Kopfkissen; man lernt allmählich in jeder Lage und zu jeder Tageszeit zu schlafen. Bis ½ 90 am Montag morgen haben wir geschlafen; der Dienst fiel ganz aus, was mir insofern gut passte, als dass ich die ganzen Fürther-Buchungen für September eintragen konnte; und mittags nach dem Essen war ich schon wieder auf dem Wege zu Dir!
Ja, meine Mammi, wenn nichts dazwischen kommt, wie Urlaubssperre oder so, bin ich also übermorgen schon wieder da!
Wird es nicht ein bischen zu viel? Ich glaube nicht; wir können es beide vertragen, unseren Urlaub zu geniessen.
Also erst mal Schluss für heute, mein Deern; morgen nachmitttag rufe ich Dich wie versprochen an zwischen 50 und 60; vielleicht gleich kurz nach 50 und dann um 530 und 60.
Inzwischen sei Du und die Kinder herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Dir stets treubleibenden Richard
Auch an Mutter natürlich einen herzlichen Gruss!
29. November 1940
Hamburg-Farmsen, den 29.11.40
Meine liebe Thekla!
Ich stehe hier am offenen Fenster in meinem Zimmer, um ein wenig Sonne zu atmen, denn das Wetter ist ja seit heute morgen klar, sonnig und rein. Ich freue mich für Euch, dass Euch an Eurem Freitags-Reinmachetag Petrus so hold ist. Hoffentlich bleibt es ein paar Tage so.
Entschuldigt bitte die schlechte Schrift, aber erstens schreibt es sich an der Fensterbank im Stehen nicht besser, und zweitens ist meine Feder durch die vielen Schreibereien der letzten Tage fürs Geschäft so spitz und kratzig, dass es wirklich nicht besser geht.
Heute ist wohl Frau Köhncke wieder bei Euch; zum Rasenausstechen für das Rundbeet beim Schlafzimmer bin ich ja leider nicht mehr gekommen. Na, hoffentlich kann ich am Montag vormittag noch ein bischen im Garten arbeiten, denn am kommenden Sonntag wird wohl nicht viel daraus werden; oder hat sich der Besuch von seiten Hildegard und Kurt zerschlagen? Evt. Wolltest Du ja noch mal anrufen. – Und Willi + Ida kommen am Sonnabend in einer Woche?
Kommen Sie schon zum Essen oder später?
A propos, Essen. War es so abgemacht, dass ich am Sonntag mittag bei Euch essen soll? Ich glaube ja. Ich komme dann also um 130. Sonst ist das Essen hier immer derselbe Frass, ohne viel Geschmack, damit muss man sich abfinden; dafür wird Brot und Zubrot auch immer so ziemlich alle. Etwas Butter habe ich schon für Euch gespart und bringe sie am Sonntag mit; ebenso die 60g Kaffee, die wir vorgestern erhielten.
An Kurt Heesch habe ich heute geschrieben und lege Kopie für Dich hier bei an Frl. Fürböter schrieb ich vorgestern einen kurzen Brief und an die Wäscherei wolltest Du ja schreiben, da ich hier keine Karte zur Hand hatte und auch keine bekommen kann, da die Post von 12-150 geschlossen hat und wir ja nur mittags beim Essen mal. Schnell etwas besorgen können.
Heute nachmittag oder abend werde ich wohl wieder Telefonwache haben, sowie heute von 3-50. Gestern habe ich meine Ordereintragungen beendet und die Ultimo-Arbeiten angefangen, wie Geldabschreibungen. Auch das Geld für Frau Fehling geht morgen ab, ausgeschrieben ist die Anweisung schon. Du siehst, Dein Mann hat stets etwas um die Ohren, und wenn nicht, steckt er die Nase ins Buch und liest. In was für eins, wird noch nicht verraten; das soll Mutti zu Weihnachten haben; also 1 Teil bekommst Du bestimmt. Ja, in einer Beziehung mag man garnicht an die Festtage denken. Man tappt in dieser Hinsicht vollkommen im Dunkeln. Höchstwahrscheinlich werdet Ihr doch wohl auch hier sein, wenn es weiterhin so ruhig bleibt. Hoffentlich kann ich am 24.12. zu Euch kommen. Dass Du Dir weiter nichts wünscht zum Fest als dass wir alle zusammen sind, weiss ich ja. Welche Wünsche Du aber sonst noch hast, musst Du mir mal sagen, mein Medl; das heisst, ich glaube ja kaum, dass ich zu Weihnachten von H.L. + S. etwas bekomme; dann müssen wir natürlich unser Geld für Eure Winterreise zusammenhalten und dürfen nichts verklendern [sic!].
Was soll Margret denn von uns bekommen? Mutter wollte noch immer ein Teil zulegen zum Dynamo und die Hälfte von dem Buch für Werner Hofmann. Darüber müssen wir wohl auch einen Streich machen. Für Klaus haben wir ja schon genügend und Werner? Der erhält irgend ein kleines Spielzeug, nicht wahr? Und Mutter? Gegenseitig wollen wir uns ja nichts schenken, aber das will ich Dir überlassen, wo Du an Mutter ja immer eine grosse Hilfe gehabt hast und auch noch hast.
Ja, nun liebes Medl; es ist jetzt 150 Uhr; ich weiss nicht, ob wir heute nachmittag noch „Dienst“ haben; das bestimmt neuerdings der Wachtmeister, der den Dienstplan macht. Heute gegen Abend rufe ich Dich noch an; Hast Du letzte Nacht gut geschlafen? Auf jeden Fall wünsche ich Dir eine störungsfreie Nacht. Darf ich übrigens schone in Kreuz im Kalender machen? Danach zu fragen, habe ich gestern ganz vergessen.
Schicke bitte Margret doch mal zu Hanitz oder in ein Papiergeschäft evtl. auch zu Boysen und lasse bitte 50 von diesen Bogen (weisses Maschinenschreibpapier) besorgen, sowie 1 Dutzend Federn, aber nur Bremer Börsenfedern EF, sonst keine andern.
Es grüsst und küsst Dich vielmals Dein getreuer Richard
8. Dezember 1940
Hamburg-Farmsen, den 8.12.40.
Meine liebe Mutti!
Du bist jetzt knapp 2 stunden wieder fort und hoffentlich wohlbehalten mit Klaus zu Hause angelangt. Ich dachte garnicht, dass Du auf meine „Berichte“ solch grossen Wert legst; denn Deine Bemerkung im Bahnhof Farmsen, dass Du nie wüsstest, was ich hier treibe verriet mir das. Ein klein wenig bist Du wohl dich noch unruhig, womit ich meine ganze freie Zeit hier ausfülle. Aber wenn ich so zurückdenke an die bisherigen Tage hier in Farmsen, so muss ich sagen, dass ich nie über Langeweile zu klagen gehabt habe. Wie Du weisst, betreibe ich jetzt wieder meine Sprachstudien, um die freie Zeit möglichst nutzbringend anzuwenden, und zwar vorerst spanisch; englisch kommt auch noch an die Reihe. Wenn sich das „Lernen“ mal nicht passt, sei es durch Radio oder lautes Skat- oder 66-Dreschen, nehme ich meinen Roman, der zu Weihnachten Dein Lesestoff darstellen soll, und lese. Zweimal abends habe ich mir Patiencen gelegt und gestern abend haben wir uns zum Beispiel so vom Kriege 1914-18 unterhalten, wo Kamerad Picol und auch Thiede ihre Erlebnisse zum besten gaben.
Ja, Dein Pappi kann später garnichts erzählen; denn die SHD Tätigkeit wird ja nicht für voll genommen und bisher haben wir ja auch nichts erlebt. Aber Du musst nun nicht denken, dass ich darauf aus bin, etwas „zu erleben“; dazu ist man doch nicht mehr jung genug und hat Frau und Kinder, für die man lebt und strebt und u derenthalben man sich nicht unnötig in Gefahr begeben darf und will. Sonst sässe ich bestimmt nicht hier zwischen Leuten, die 10-20 Jahre älter sind und alle einen Krieg bereits hinter sich haben. Ich will nicht sagen dass sie unkameradschaftlich sind, aber ihre Einstellung zum ganzen Leben ist, bedingt durch den Altersunterschied, eine ganz andere als meine, und sie lassen doch, wenn auch vielleicht unbewusst, durchblicken, dass wir Jüngeren doch noch garnicht mitreden könnten.
Ja, meine Deern, ich will erstmal eine Pause einlegen, um Abendbrot zu essen. Ich sitze hier in meiner Schlafkammer „Solo im Kasten“. Nebenan im verqualmten Zimmer sitzen die übrigen und spielen Karten. Besuch von Ehefrauen etc. scheint nicht gekommen zu sein. Nur 2 Kameraden von einer andren Gruppe, die ich aber nicht kenne, kamen gleich nachdem Ihr fort wart, und sitzen noch drüben beim Skat.
Ich bin gleich heute nachmittag zu Steibel gegangen; wir haben gemeinsam das Zimmer (Telefon-Z.) verdunckelt, ich habe meine Maschine geholt und dann für ihn die 3 Seiten ausgefüllt; anschliessend haben wir uns noch über „Tod und Teufel“ unterhalten, über Gehalt, Dienst, Zivilberuf usw; wenn ich nicht Schluss gemacht hätte, sässe ich noch dort und holte mir Eisbeine, denn fusskalt ist es dort sehr.
Morgen berichte ich Dir weiter über meine SHD Tätigkeit; den Brief selbst werde ich Dir wohl am Mittwoch mittag, wenn mein Urlaub zu Ende ist, persönlich übergeben, denn es hat ja keinen Zweck, ihn morgen auf die Post bringen; dann bin ich ja früher bei Dir, als der Brief.
Aber, mein Medl, ich wünsche Dir eine angenehme und Dich für Deinen Waschtag, stärkende Nachtruhe, sowie viel Spass und Unterhaltung morgen nachmittag bei Hofmanns.
Inzwischen sei innigst gegrüsst und umarmt von Deinem Richard
Den 9.12.40, nachmittags 160
Liebe Medl, ich habe ich vergebens bei Euch angerufen, bis mir einfiel, dass Ihr heute ja nicht dort seid, sondern in Kaffee und Kuchen bei Hofmanns schwelgt. Ich sitze hier wieder mit Eisbeinen auf Telefonwache von 15-170.
Gestern abend habe ich noch bis 9 ½0 gelesen, dann konnte ich es von Schmerzen in der Magengegend nicht mehr aushalten; heute morgen war der Druck gottseidank weg; das kommt sicher von dem halbgaren Fleisch, das wir die letzten Tage erhielten.
Heute mittag war das Fleisch zum ersten Male besser, es gab Goulasch, süss-sauren Kohl, als Vorspeise eine Fruchtgrütze aus Kartoffelmehl mit einer gelblichen Sauce. Leider weiss die Klinkrad´sch ja ganz genau, dass sie keine Konkurrenz zu fürchten hat; daher wird auch der heutige Besuch des Hauptmanns bei uns, der sich gleich nach dem Essen erkundigte, nicht viel daran ändern, auch wenn er in der Küche bei Kl. War und dort ziemlichen Krach geschlagen hat.
Sonst hat sich bis jetzt nichts ereignet. Heute morgen sind wir alle schon um 630 aufgestanden, da um 650 bereits sämtliche Decken zur Desinfektion von Piening selbst abgeholt wurden. Bis 90 habe ich nach dem Morgenkaffee noch Eintragungen gemacht; der Dienstplan, den ich inzwischen auch noch abschreiben musste, da nur ein Exemplar davon gesandt worden war, sah von 9-1130 „Formale Ausbildung“, unter Leitung des Hauptwachtmeisters vor. Steibel liess uns auch draussen bis kurz vor 100 herum marschieren; dann wurde eine Frühstücks- oder Cigarettenpause eingelegt; anschliessend haben wir dann, um uns im Nebel erforderliche Bewegung zu verschaffen, Faustball bis 110 gespielt. Ich habe mich dann gleich wieder in die Arbeit gestürzt und alles abgelegt und eingetragen. Nun kann neue Post kommen und Arbeit bringen.
Heute nacht von 1-30 habe ich wieder Wache und werde vielleicht noch einige Zeilen hinzufügen. Einstweilen also Innigst Dein Richard
Schluss.
10.12.40 Nachts 130
Mehr als 2 Stunden Schlaf habe ich bisher nicht gehabt; aber der Rest wird nachgeholt nach 30 hoffentlich, vorausgesetzt, dass ich dann gleich einschlafen kann, was bei mir immer ein ziemlich wunder Punkt ist.
Jeden nachmittag habe ich bis 1730 im Telefonzimmer gesessen, da Schwart mich nicht pünktlich ablösen konnte. Inzwischen waren nämlich unsere Schlafdecken zurückgekommen, deren Anzahl genau kontrolliert wurde. Sie stanken noch entsetzlich; wir haben sie noch ½ Stunde in die frische Luft gehängt. Bis gegen 190 habe ich mich dann noch mit spanischen Übersetzungen beschäftigt, bis Bader hereinkam und mich fragte, ob ich an einem warmen „Abendessen“ bestehend aus aufgewärmten Kohl und Kartoffeln, teilnehmen wollte, da sie beide, Bader und Reese, es nicht allein schaffen könnten. Pappi liess sich nicht lange nötigen und haute rein! Hinterher nach einem kleinen Klöntje mit den beiden, an dem sich auch Schwart beteiligte (die „männliche“ Rettungsstelle nimmt ihre Mahlzeiten stets im Telefonzimmer ein) war es dann auch soweit, mit meinen anderen Kameraden auf unserer Stube die Abendmahlzeit in Form von 5 Scheiben Vollkornbrot fortzusetzen. Danach. Habe ich ja dann mit Dir telefoniert, mein Deern; hoffentlich hast Du Werner bald wieder zur Ruhe bringen können. Nach dem Gespräch wurde ich gleich im Telefonzimmer festgehalten, da Reese gern Schach spielen wollte und Bader, den er dazu aufforderte keine Lust hatte. Drei Partien haben wir gemacht, alle zu meinen Gunsten; angeblich spielt es noch nicht lange: Kurz vor 80 kamen nacheinander die beiden diensttuenden Ärzte angetrudelt: Dr. Bach und Dr. Sappl, beides noch jüngere; den ersteren kenne ich von der Feldstrasse her. Beide waren interessierte Zuschauer, bis sich auch Schwart einfand als dritter Mann zum Skat. Zwischendurch musste Reese einen Korb Flaschenbier besorgen, von dem mir 2 Flaschen zugedeckt waren; aber eine habe ich nur getrunken und mich gegen 1030 verdrückt, da ich ja um 10 wieder hoch musste. Dr. Bach wollte mit mir noch eine Partie machen, aber Reese hatte die Nase voll vom Spiel und seine, Dr. Bachs , Skatplatz nicht einnehmen.
So, mein Medl, das ist der Abriss des gestrigen Abends; ich hoffe Dich zufrieden gestellt zu haben und will jetzt noch ein bischen lesen; zum Spanisch bin ich doch nicht genug ausgeschlafen; das werde ich morgen vormittag von 9-110 auf meiner Telefonwache vornehmen. Inzwischen sei Du, mein Spatzi, herzlichst gegrüsst von Deinen Männe,
der sich schon auf den morgigen Tag freut.
12. Dezember 1940
Hamburg-Farmsen, den 12.12.40.
Meine liebe gute Thekla!
Unserem heutigen Telefongespräch habe ich leider entnommen, dass Du wieder einen schweren Tag und eine unruhige Nacht mit Werner hinter Dir hast. Hoffentlich bessert es sich bald mit Werners Erkältung; sonst musst du doch am Dr. Ledermann zu Rate ziehen. Na, hoffentlich sehen wir klarer, wenn Du diese Zeilen zu Bericht bekommst, und das wird wahrscheinlich übermorgen mittag sein, wenn ich wieder fort gehe. In 2 Tagen kann sich ja schon vieles ändern.
Gestern mittag bin ich noch rechtzeitig zum Essen erschienen; es gab Bratwurst, Sauerkohl und Kartoffeln, also mal ein annehmbares Essen; dafür war der heutige „Frass“ wieder um so schlechter: Labskaus mit kleinen, meist unverdaulichen Fleischresten, und Sauerkohl; beides zusammen gemanscht in den üblichen Hunde-und Katzenschüsseln. So nennen wir neuerdings die Emailleschüsseln, worin das Essen auf den Tisch kommt. Der Ausdruck stammt von unseren neuen Ersatzmann Theodor Hansen, ein feiner Kerl, ist Steward auf S/S „New York“ 7 Jahre gewesen, kennt auch Deinen Onkel „Jonny Hansen“ (wie er ihn nennt) und ist ein leiblicher Vetter von ihm! Da staunst Du, wie? Die Welt ist doch klein. Wie die Verwandtschaft nun zusammenhängt, weiss ich noch nicht.
Gestern nachmittag hatte ich Telefonwache von 15-170 ich rief Dich während der Zeit (ca 160) ja auch an. Abends habe ich dann eingegangene Post erledigt und abgelegt. Auch die Anweisung für Frau Fehling ist abgegangen. Ich finde es übrigens allerhand, dass sie heute nochmals angerufen hat. – Nach dem Abendbrot haben wir noch politisiert mit Tetje Hansen, der politisch ein heller Kopf ist; man merkt, dass er viel in der Welt herumgekommen ist und seine Nase überall hineingesteckt hat.
Während der Nachtwache von 3-50 habe ich mal ausnahmsweise kein Spanisch betrieben, sondern einen angefangenen Heftroman zu Ende gelesen.
Heute morgen bin ich von der „formalen Ausbildung“ wieder befreit worden, weil ich zur Kraftfahrbereitschaft wegen der s.zt. zerbrochenen Scheibe am Lastwagen musste, wo abermals darüber ein Protokoll aufgenommenwurde1! Bei Clara war ich auch vor; sie wird Dich in den nächsten Tagen anrufen.
Für Mutter hat sie eine Vergrösserung von Meta machen lassen; na, sie wird Dir schon Näheres erzählen, vielleicht nimmt sie ja noch den Rahmen dazu; denn irgend etwas sollte noch hinzukommen. – Margrets Uhr habe ich auch geholt; Preis M 1.20.
Grosse Sorge macht mir mein Dir zugedachtes Weihnachtsangebinde; es ist schon so, wie Du sagtest. Man kann laufen von Pontius zu Pilatus, und bekommst überall die gleiche negative Antwort.
Ja, mein Deern, die Hauptsache ist, dass wir uns immer gut verstehen und nach Möglichkeit keine Misstimmung aufkommen lassen; und dass vor allen Dingen die Kinder gesund und mobil sind. Und wenn ich dann auch noch zum 24. Kommen könnte, wäre wohl alles in Lot; aber leider schwebt man in dieser Beziehung noch immer im Ungewissen. „Es heisst“, dass nächsten Woche die Bramfelder hier abgelöst und in ihr altes Quartier nach Bramfeld zurückkommen werden. Wie aber die ganzen Sofort-Kommandos eingeteilt werden, ist noch nicht bekannt. Also abwarten!
Die Uhr geht auf 70 (190). Hoffentlich ist bald der Kaffee fertig; denn mein Magen knurrt schon; trotz der 2 Scheiben Marmeladenbrot heute nachmittag. – Mein Druck auf den Magen hat sich gebessert; ich spüre immer noch die Stelle, besonders nach dem Essen.
Inzwischen sei herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem Richard
Heute vormittag, den 13.12. sollten wir Unterricht haben, der aber um 100 abgeblasen wurde. Die heutige Post war sehr umfangreich; ich habe sie eben 1200 erledigt und kann nun auf Urlaub gehen. Hoffentlich ist alles klar bei Euch Dein Männe
15. Dezember 1940
Hamburg-Farmsen, den 15. Dez. 40
Meine liebe Thekla!
Ich sitze hier heute nachmittag im Telefonzimmer bei Eisbeinen und will Dir schnell noch ein paar Zeilen senden, die ich in einer Stunde Mutter mitgeben werde.
Heute mittag nach dem Essen ist der Befehl herausgekommen, unsere Ablösung betreffend. Wir kommen also am 19. ds nach Rahlstedt, Barsbüttelerstr. 19, und zwar zusammen mit den Gruppen 100, 101 und 102. Jede Gruppe hat 2 Tage Sofortkommando und 4 Tage Bereitschaftsdienst; innerhalb dieser 4 Tage hat man 1 mal 24 Stunden Urlaub von 13-130, und einmal von 13-190 dienstfrei; sodass wir alle 6. Tag Nachturlaub haben und dazwischen einmal nachmittags frei. Das bedeutet also eine Verschlechterung gegenüber unseres jetzigen Dienstes. Gruppe Braun kommt am 19. wieder an ihren alten Platz in Bramfeld.
Nach dem neuen vorliegenden Plan werde ich am 20. (Freitag) nachmittags von 13-190 frei haben, dann Nachturlaub am 23.12. ab 130 bis 24.12. 130, also äusserst ungünstig. Nun ist der „Extra“-Weihnachtsurlaub ja noch nicht heraus; da muss ich abwarten bis Donnerstag, wo ich noch mal mit Dede sprechen werde. – Weiter habe ich am 2. Feiertag von 13-190 frei, am 1. Feiertag aber garnicht. – Nachurlaub dann wieder am Sonntag den 29 ab 130 bis Montag 130 und Neujahr dienstfrei von 13-190.
Das wäre das Kapitel Urlaub und Versetzung! Hier nach Farmsen kommt der Sanitätszug 12/X, der aber mit 3 Gruppen gleiche Diensteinteilung hat wie wir, aber mit dem Urlaub wie bisher jeden 4. Tag ist es auch aus! Man weiss ja nun nicht, was für Wachtmeister in Rahlstedt sind, die muss man erst mal kennen lernen. Hier die beiden Steibel und Schwart kennt man zur Genüge, und Schwart hätte mir auch für den 24. von sich aus Sonderurlaub gegeben, und dies auch bei Steibel für mich evt. durchgesetzt. Nun muss ich meine ganze Hoffnung auf Dede setzen, dass der für mich eine Extrawurst herausholt. Bei meinem gestrigen Besuch bei ihm habe ich ihm einen Brieföffner mit Lupe von Landmann versetzt, worüber er sich sehr freute und der ihm gut zu Pass käme, wie er sagt! Abwaschen und Daumen kneifen. Die Entfernung per Rad nach Rahlstedt ist ungefähr die gleiche wie nach Farmsen; nur die Bahnverbindung ist ja katastrophal! Das war hier ja besser.
Gestern mittag nach dem Essen fand ich noch Post in Farmsen vor, die ich erst mal beantworten musste; dann rasieren, für Scheibel etwas dienstliches schreiben, und aufs Rad nach dem Pol. Revier 101, nach dort Befehle und Meldungen überbracht; von dort aus bin ich dann schnell noch zum Abschnitt zu Dede gefahren. Als ich zurückkam, war es bald Abendbrotzeit.
Veränderungen hat es inzwischen hier auch gegeben. Oldenburg ist als Turm-Wächter nach Bramfeld versetzt, wo er auf dem Kirchturm die Feuer-Wache hat. Als Ersatz dafür haben wir einen frisch-eingezogenen Jüngling von 38 Jahren bekommen, de stets ein weinerliches Gesicht macht, Buchhalter bei der GEG war und nebenbei Opernsänger werden will. Er nimmt Unterricht, 5x die Woche zu M 80.- im Monat! Er ist seelisch vollkommen herunter, wie er sagt.
Heute morgen habe ich Post geschrieben und abgelegt und 2 Partien Mühle mit dem Neuling gespielt. Heute mittag gab es Schweinebraten, Rotkohl und Nachtisch. Zum ersten Mal hat das Essen gut geschmeckt.
Entschuldige die eilige Schrift mit einer fremden dicken Feder, aber ich muss Schluss machen, um Mutter am Bahnhof nicht zu verpassen.
Heute Nacht habe ich wieder Wache von 1-30 wahrscheinlich; aber ich wünsche Euch Allen eine gute Nacht, geruhig und kräftigend.
Morgen wecke ich so zwischendurch mal wieder an. Inzwischen sei Du und die Kinder herzlichst gegrüsst und geküsst von Deinem stets an Dich denkenden Richard
Der Zettel wegen der Notiz wegen Frau Busse´s Rechnung über Elektrizität fand sich in meiner Mappe.
22. Dezember 1940
Hamburg-Wandsbek, den 22.12.40.
Meine liebe gute Thekla!
Nun bin ich seit 7 Stunden hier in der Feldstrasse in unserem „wunderschönen“ Quartier. Ich muss sagen, dass ich einen solch trostlosen Sonntag bisher nicht erlebt habe.
Als ich 5 Minuten nach 120 bei Witten ankam, hiess es, dass das Essen eine ¼ Stunde später stattfinden würde. In der Feldstrasse angekommen, wurde mir auf dem Telefonzimmer der Bescheid, dass ich sofort in die Goethe-Schule kommen sollte „für Blankenburg“! Und dabei ist Blankenburg garnicht in der Goethe-Schule, sondern hier in der Feldstrasse in Gruppe B (ich bin in A)
Na, allmählich wird man ja dickfällig; erst mal Essen gehen zu Witten, das andere findet sich dann. Nach dem Essen bin ich dann, wie ich Dir bereits am Telefon sagte, auf eigene Faust zum Abschnitt gegangen, da auch Jenfeldt mir keine weitere Auskunft erteilen konnte.
Auf dem Abschnitt habe ich ausführlich mit Hptwachtmstr Dede und mit Siede gesprochen mit dem Ergebnis, dass ich doch hier bleibe, was ich aus dem Grunde gern wollte, um den Weihnachtsabend mit Euch zu verbringen, was mir anderswo nicht möglich gewesen wäre. Sonst wäre es mir einerlei gewesen, denn die Goetheschule kenne ich ja und das Sofortkommando in der Kurzen Reihe kenne ich ja auch. Der Eindruck meiner Unterkunft hier ist für einen Neuling ziemlich trostlos; es mag ja sein, dass man sich daran gewöhnt, die Scheiben im Treppenhaus blau bemalt, die Aborte halb draussen auf dem Hof! Ausserdem waren heute nachmittag wenig Leute hier; von unseren 10 Mann ist einer abkommandiert zu einem anderen Abschnitt, einer war auf Tannenbaumsuche, zwei gingen 50 ins Kino (Trenck der Pandur!), vier Mann hielten Mittagsschlaf; zwei waren im Telefonzimmer, sodass ich mich mit dem Fahrer allein heute nachmittag im Tagesraum befand. Est habe ich Leitungskabel aus Pappe für Klaus Eisenbahn geklebt und nachher gelesen.
Ein kleines Weihnachtspäckchen habe ich auch noch bekommen enthaltend eine Zeitschrift, ein kleines Büchlein mit Erzählungen und 10 Cigaretten, überreicht im Auftrage des Abschnitts X!
Meine Gedanken sind stets bei Dir, mein Deern, hoffentlich schaffst Du alles. Ob ich morgen kommen kann, bezweifle ich sehr, falls wir Dienst haben sollten; ansonsten werde ich natürlich zur Stelle sein. Falls ich morgen nicht kommen kann, werde ich auf jeden Fall versuchen, am 24. schon eher als 1-1 ½0 zu erscheinen. Ich werde ja morgen noch mit Dir telefonieren, mein Spatzi!
Es ist jetzt ½ 80; Abendbrot habe ich bereit um ¼ vor 60 als der heisse Kaffee kam, der von Witten geholt werden muss. Ausgerechnet habe ich nur Feinbrot bekommen, wo ich erst nur Schwarzbrot abends esse. Den Sonntags-Nachmittagskaffee habe ich mir mal wieder an den Hut gesteckt; den Kuchen werde ich morgen früh verdrücken.
Morgen nacht werde ich wohl Wache auf dem Abschnitt im Eichtalpark haben; es befindet sich aber eine geheizte Unterkunft dort für die jeweils 3 Wachhabenden, die sich alle 2 Stunden ablösen, sodass jeder einmal 2 und einmal 1 ½ Stunden herankommt, Beginn abends um 90; Schluss um 70 morgens.
Ich will für heute auch erstmal Schluss machen, mein Spatschi! Schlaf recht wohl und ungestört und sei einstweilen innigst gegrüsst und umarmt von Deinem stets nur Dich liebenden Richard